Full text: Die Bundesexekution nach der Reichsverfassung.

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Lothringen in Kraft getreten. Die Reichsverfassung setzt nach vielen 
ihrer einzelnen Bestimmungen wie nach ihrem ganzen Geiste das Da- 
sein von Einzelstaaten voraus. Die Reichsgewalt hat nach der recht— 
lichen Natur des Bundesstaates keineswegs alle staatlichen Funktionen 
an sich gezogen, es findet vielmehr eine Teilung derselben zwischen der 
Reichsgewalt und der Staatsgewalt der Einzelstaaten statt. Wenn auch 
die Reichsgewalt die übergeordnete, souveräne ist, so haben doch auch 
die einzelnen Bundesstaaten ihre selbständige staatliche Sphäre, die sie 
nicht von der Reichsgewalt ableiten. Kurz, das ganze Gebäude des 
deutschen Reiches in seiner staatsrechtlichen Strukhtur setzt die Funda- 
mente der historisch vorhandenen Einzelstaaten voraus. Diese Voraus- 
setzung trifft beim Reichslande aber nicht zu. 
Es gibt nicht wie in den Bundesstaaten eine von der Reichs- 
gewalt losgetrennte Landesgewalt, sondern die Landesgewalt über 
Elsaß-Lothringen ist in der Reichsgewalt enthalten. Der Reichsgewalt 
steht eine Landesgewalt nicht gegenüber. Elsaß-Lothringen hat keine 
Stimme im Bundesrate und kann auch keine haben. Zwar ist durch 
das Reichsgesetz vom 4. Juli 1879 § 7 der Statthalter ermächtigt, 
zur Vertretung der Vorlagen aus dem Bereiche der Landesgesetzgebung 
sowie der Interessen der Reichslande bei Gegenständen der Reichsgesetz- 
gebung Kommissare abzuordnen, welche an den Beratungen des Bundes- 
rates und seiner Ausschüsse über diese Angelegenheiten teilnehmen. 
Aber damit hat Elsaß-Lothringen noch keine Otimme im Bundes- 
rate; denn es hat nicht das Recht, sich irgendwie an der Beschluß- 
fassung zu beteiligen. Bevollmächtigt zum Bundesrate im Sinne der 
Reichsverfassung sind also die Vertreter Elsaß-Lothringens nicht und 
können es, wie wir aus der staatsrechtlichen Stellung der Reichslande 
gesehen haben, auch nicht sein. „Elsaß-Lothringen wurde, um mit 
Zorn!) zu reden, durch seine Einverleibung in das Gebäude des Reiches 
nicht gleichberechtigtes Mitglied der Reichssouveränität wie die Glied- 
staaten, sondern es wurde nur Objekt der Reichssouveränität, wurde 
ein Bestandteil, eine Provinz des deutschen Reiches, Reichsland."“ 
Alle diese Gründe zwingen zu der Annahme, daß Elsaß-Lothringen 
nicht als Staat, demnach auch nicht als Bundesglied im Sinne des 
Art. 19 der Reichsverfassung angesehen werden kann. Da aber nach 
Art. 19 eine Reichsexekution immer nur „Bundesglieder" treffen kann, 
so ist eine solche gegen Elsaß-Lothringen begrifflich ausgeschlossen. 
85. 
Was versteht die Reichsverfassung unter „verfassungsmäßige 
Bundespflichten“? 
Es liegt die Gefahr nahe, als verfassungsmäßige Bundespflichten 
nur diejenigen Bundespflichten zu betrachten, die in der Reichsverfassung 
) Zorn I S. 552. 
 
	        
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