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Dagegen ist inhaltlich die richterliche Gewalt
keine besondere Staatsfunktion. Es handelt sich
um die Anwendung der allgemeinen Zivilrechts-
oder Strafrechtsnorm durch die im richterlichen
Urteile enthaltene tatsächliche Anordnung. Diese
Tätigkeit hebt sich nur formell aus der vollziehen-
den Wirksamkeit anderer Staatsorgane heraus,
durch die verfassungsrechtliche Unabhängigkeit
gegenüber dem Monarchen, durch die verwaltungs-
rechtliche gegenüber den Organen der Justizauf-
sicht und durch die prozeßrechtlichen Formen des
Verfahrens unter Anhörung und Mitwirkung der
Parteien. Das alles betrifft aber nicht den Inhalt
der Entscheidungen.
Das ursprüngliche Gebiet der Rechtsprechung
war die Anwendung des Privatrechtes in der Form
des Zivilprozesses und die Anwendung des Straf-
rechtes in der Form des Strafprozesses, weshalb
man beide zusammen auch als die ordentliche
Gerichtsbarkeit bezeichnet. Dazu kamen einzelne
Verwaltungsgeschäfte, die nach deutscher Über-
lieferung von den Gerichten in richterlicher Un-
abhängigkeit als freiwillige Gerichtsbarkeit er-
ledigt wurden. Den Bedürfnissen des Rechts-
staates entsprechend dehnte sich jedoch im
19. Jahrhundert die Rechtsprechung in besonderen
Formen weit über dieses ursprüngliche Gebiet aus.
Namentlich entstand eine eigene Verwaltungs-
gerichtsbarkeit zum Schutze der individuellen
Sphäre gegenüber Übergriffen der Verwaltung.
Indem sich das Gebiet der Rechtsprechung in den
verschiedensten Formen stetig ausdehnt, wird jede
grundsätzliche Abgrenzung unmöglich. Es be-
darf immer der Prüfung des einzelnen Falles, ob
irgendein Weg der Rechtsprechung gegeben ist.