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Suchen wir nichtsdestoweniger eine Ordnung in dieses schein-
bare Chaos zu bringen, so können wir vor Allem die beiden schon
oben (§ 3) erwähnten Kategorien unterscheiden: die Einen verwer-
fen jede nachträgliche Legitimation einer usurpirten Staatsgewalt,
die Andern statuiren gewisse rechtliche Heilmittel, wodurch die usur-
patorische Herrschaft zur legitimen wird. Die Ansichten der ersten
Kategorie theilen sich wiederum in zwei Classen: von der einen
Seite wird das einmal bestehende Recht auf die Souverainität als
durch keine rechtliche Thatsache (mindestens gegen den Willen des,
resp. der Berechtigten) zerstörbar angesehen, von der andern Seite
wird das Recht auf die Herrschaft als eine unmittelbare Folge der
Innehabung derselben (des Besitzes, des fait accompli, der Ueber-
macht u. s. w.) aufgefaßt. Innerhalb der ersten Classe treten uns
zwei, in der Theorie nahe verwandte, im Leben feindlich geschiedene
Richtungen entgegen: die erste, gewöhnlich vorzugsweise legitimistisch
genannte, bezieht sich principiell nur auf die Erbmonarchie und
schreibt der fürstlichen Dynastie ein unentziehbares Recht zu; dic
andere nimmt für das Volk als die Gesammtheit der Staatsbürger
ein allgemein gültiges, „unveräußerliches und unverjährbares“ Recht
auf die Souverainität in Anspruch. — Die Ansichten der zweiten
Hauptkategorie, welche eine Verwandelung der illegitimen Herrschaft
in eine legitime zulassen, sehen entweder in erster Linie auf die
Thatsache der Herrschaft und fordern nur eine längere Dauer der-
selben, oder sie räumen den Beherrschten (dem Volk in diesem
Sinn) einen maßgebenden rechtlichen Einfluß ein; die letzteren hal-
ten theils einen bestimmten, auf die Legitimation der usurpirten
Staatsgewalt gerichteten Willensakt des Volkes für erforderlich,
theils begnügen sie sich mit einer Anerkennung der usurpatorischen
Herrschaft durch das Volk. «
Darnach unterscheiden wir im Ganzen sechs Theorien, drei negative
— die s. g. legitimistische Theorie, die der unveräußerlichen Volkssouve-
rainität, die Besitztheorie —, und drei positive — die Verjährungstheorie,
der Fürstengewalt schreibt: „Durch Verjährung wurde sie sanctionirt; durch
Verjährung kann sie erlöschen und an der Stelle einer entsetzten Dynastie eine
neue das Prädikat der Legitimität erwerben, wenn sie im Interesse des Volks
regiert, die ausdrückliche oder stillschweigende, aber wirklich freie und nachhaltige
Zustimmung desselben erwirbt und die entsetzte Dynastie jede vernünftige Hoff-
nung auf Restauration verloren hat, oder dieselbe mit größern Uebeln für die
Nation verbunden wäre.“