— 22 —
oder nur von einem andern Träger in Besitz genommenen Staats-
gewalt gegeben. Dieses Resultat ist praktisch um so wichtiger, als
jene Theorien thatsächlich nicht im Stande sind, Usurpationen zu
verhüten, vielmehr, consequent durchgeführt, dieselben begünstigen.
Ein Herrscher, der seinem Recht einen besondern göttlichen Ursprung
zuschreibt, wird selten geneigt sein, menschliche Schranken seines
Rechts zu respektiren 50); ein Herrscher, der für sich ein Privatrecht
auf die Herrschaft in Anspruch nimmt, wird kaum seine staatlichen
Pflichten vollkommen begreifen und erfüllen; eine Anerkennung des
Satzes endlich, daß alle wohlerworbenen Rechte der Reform entzo-
gen sind, führt zu einer Vernachlässigung der wesentlichsten Aufgabe
des Staats. Ein solcher Mißbrauch oder Nichtgebrauch der Staats-
gewalt wird aber mit der Zeit leicht entweder eine Revolution im Gefolge
haben, oder den Staat so schwächen, daß er auswärtiger Eroberung
unterliegt. Ist nun ein solcher Fall eingetreten, dann hängt es,
den strengen Legitimisten zufolge, völlig vom Zufall oder Eigen-
willen ab, ob der Rechtsbruch geheilt wird oder nicht; pflanzt das
Herrschergeschlecht sich fort und enthält sich ein Mitglied desselben
des Verzichts auf die Herrschaftt), so bleiben der Usurpator und
seine Nachfolger, wie feste Wurzeln auch ihre Gewalt schlagen mag,
immer illegitim, immer der Reaction des Rechts ausgesetzt 2). Und
selbst für den Fall des Erlöschens oder Verzichts der bisherigen
Herrscherfamilie gibt die legitimistische Theorie kein Mittel, durch
welches der neue Herrscher legitimirt werden kann.
§ 6. Die Theorie der unveräußerlichen Volkssouverainität.
Unter der Theorie der unveräußerlichen Volkssouverainität
verstehen wir die Ansicht Derjenigen, welche behaupten, in einem
jeden Staate könne die Souverainität nur der Gesammtheit der
Staatsbürger zustehen und daher weder gegen den Willen, noch mit
50) Für die Richtigkeit dieser Behauptung zeugt namentlich die Geschichte
der Stuarts.
54) Die Streitfrage, ob und inwiefern der Verzicht des Vaters seine Söhne
bindet, lassen wir hier außer Augen.
52) Nach der legitimistischen Auffassung war z. B. das Haus Braunschweig
auf dem Thron Großbritanniens jedenfalls bis zum Tode des Cardinals von
Vork (anno 1800) illegitim; zweifelhaft kann es erscheinen, ob das Haus Sa-
voyen, auf welches demnächst die Krone übergegangen wäre (jetzt würde sie dem