Full text: Die Legitimation einer usurpirten Staatsgewalt. Erste Abtheilung. (1)

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Form der Verbindung gefunden werden, in welcher Jeder nur sich 
selbst gehorcht und mithin so frei bleibt wie vorher; dieses Problem 
kann nur dadurch gelöst werden, daß Jeder seine Person und sein 
Vermögen unter eine Herrschaft stellt, an welcher Jeder Theil hat. 
Der Zweck des Staats (der socialen Verbindung) ist das Gemein- 
interesse aller Mitglieder; mit diesem kann kein Einzelwille auf die 
Dauer übereinstimmen, sondern nur der Gemeinwille; dieser Ge- 
meinwille kann nur durch ein Zusammenwirken der Willen aller 
Einzelnen ermittelt werden; daraus folgt wiederum die Theilnahme 
Aller an der Souverainität. 
Gehen wir zur Prüfung dieses Raisonnements über, so müssen 
wir die Richtigkeit der Ausgangspunkte beider Schlußreihen zugeben, 
während wir die daraus gezogenen Consequenzen entschieden verwer- 
fen. Die Freiheit ist in der That ein unveräußerliches Recht jedes 
Menschen, aber nicht jede Beschränkung hebt die Freiheit auf; viel- 
mehr müssen die Menschen, um innerhalb einer gewissen, zur Be- 
friedigung ihrer Lebensaufgaben unentbehrlichen Sphäre mit Sicher- 
heit frei sein zu können, auf einen Theil ihrer Freiheit verzichten; 
das Problem einer socialen Verbindung, in welcher Niemand von 
seiner Freiheit opfert, ist unlösbar; der Antheil an der Herrschaft 
über Andere hebt nicht den Zwang auf, dem wir selbst unterwor- 
feen sindt damit wir auch in den Angelegenheiten, über welche die 
Gemeinschaft beschließt, nur unserm eigenen Willen folgen könnten, 
wäre in jedem Fall Einstimmigkeit nothwendig — dann aber brauch- 
ten wir keine souveraine Gewalt, keine Gesetzgebung: Verträge ge- 
nügten 57). Die praktische Nothwendigkeit, von dem Erforderniß 
der Stimmeneinheit abzusehen, begreift auch Rousseauss), er nimmt 
  
57) Höchstens würde der Weg der Gesetzgebung eine formelle Erleichterung 
(durch den periodischen Zusammentritt der Einzelnen, die Publikation u. s. w.) 
gewähren. Zu berücksichtigen ist freilich, daß die Staatsgewalt, als souveraine, 
nach freiem Ermessen entscheidende Gewalt nicht allein in der Gesetzgebung, son- 
dern auch in der Regierung sich äußert; aber eine Regierungsgewalt kennt Rous- 
seau Überhaupt nicht, sondern bloß eine in der physischen Ausführung der Gesetze 
bestehende Vollziehungsgewalt. Nur dadurch begreift sich die abhängige Stellung, 
welche er dem „Gouvernement“ zuweist, und die praktische Möglichkeit des Ver- 
langens, daß das souveraine Volk in seinen Versammlungen, ohne jede Reprä- 
sentation, die gesammte Souverainität ausübe (Livre III, Chap. I: Du Gou- 
vernement en général; Chap. XV: Des Députés ou Représentans). 
58) Livre IV, Chep. II: Des Suffrages. Seine Begründung der Entscheidung 
durch Stimmenmehrheit (für welche er übrigens sehr verschiedene Abstufungen vor- 
schlägt) vermittelst einer Klausel des Socialcontracts interessirt uns hier nicht.
	        
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