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des Rechts. Das Sprichwort „Noth kennt kein Gebot“ drückt das
Verhältniß richtig aus.
§ 8. Verjährungstheorie.
Von den Schriftstellern, welche keiner der bisher erörterten
extremen Theorieen sich anschließen — also weder jede faktische
Herrschaft legitim erachten (§ 7), noch eine Umwandelung einer
usurpatorischen Herrschaft in eine legitime, auch wenn es sich um
eine Veränderung der Staatsform (§ 6) oder um Ausschluß einer
fürstlichen Dynastie (§ 5) handelt, für unstatthaft erklären — schrei-
ben viele der Zeit oder der Verjährung die Kraft zu, die nach-
trägliche Legitimirung zu bewirken. Beide Ausdrücke, Zeit und
Verjährung, werden oft promiscue gebraucht; sofern aber nicht er-
hellt, daß Zeit so viel wie Verjährung bedeuten soll, ist diesem
Worte in der Regel gar kein bestimmter juristischer Sinn untexzu-
legens?). Die Zeit an und für sich ist nämlich keine zuristische
Thatsachess); denn, wie schon Hugo Grotiuss) richtig bemerkt hat,
die Gründung des Griechischen Staates juristisch aufzufassen, sofern man anneh-
men muß, daß bis dahin die Souverainität der Pforte über Griechenland legitim
gewesen sei. 5
87) Solche verlorene Aeußerungen finden sich z. B. bei Sismondi,
Etudes sur les constitutions des peuples libres, S. 227 („L'autorité du
temps porte avec elle le préjugé de la lEgitimité“); v. Kalten orn, Ein-
leitung in das constitutionelle Verfassungsrecht, S. 107 (Legitimitätscharakter
„durch die Macht der Zeit mit ihrem Einflusse auf die Umbildung und Neuge-
staltung des Rechts"“); Held, Staat und Gesellschaft, II, S. 742 („Eine wahre
Revolution .. kann nie rechtmäßig sein, wenn auch die Zeit allmälig das in
ihr liegende Unrecht zu heilen vermag"). — Eine im Jahre 1814 erschienene
Schrift „Constitution du temps“ (vgl. Duvergier de Hauranne, Hi-
stoire du gouvernement parlamentaire en France, II, 148) verband mit die-
ser Bezeichnung einen bestimmtern Begriff, wenn auch nicht den der Verjährung:
die Zeit allein enthülle die Geheimnisse des allgemeinen Willens, dessen Ausdruck
das Gesetz sein solle; deshalb sei nur die Regierung legitim, an welche, eine
lange Zeit das Volk gewöhnt habe.
88) So weit sie juristisch in Betracht kommt, ist sie nur „ein Bestandtheil
juristischer Thatsachen“ (v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts,
IV, S. 297, Ueberschrift).
89) De J. B. et P. II, 4, 1. Das ganze Capitel (De derelictione praesumta,
et eam secuta occupatione: et quid ab usucapione et praescriptione differat)
ist imn seiner Polemik gegen jede Anwendung der Verjährung auf das ius imperü
noch immer höchst beachtungswerth. Dagegen ist die positive Lösung unserer
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Brie, die Legitimation 2c.