Full text: Die Legitimation einer usurpirten Staatsgewalt. Erste Abtheilung. (1)

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dieser Zustand mit den Ueberzeugungen, Gefühlen und Interessen 
der Nation gänzlich verschmolzen ist;“ als Beispiel nennt er den 
Thronbesitz des Hauses Braunschweig in England, der lange vor 
dem Erlöschen des Stuart'schen Königstamms nach der Ueberzeugung 
Englands und Europa's rechtmäßig geworden sei. Mit Berufung 
auf Saviguy lehrt Stahl, daß die Ersitzung und die allmälige 
Legitimität usurpirter Throne ein und dasselbe Princip hätten 28); 
dieser Umwandelungsprozeß sei vollendet, „wenn die Generationen 
darüber hingegangen;" eine bestimmtere Regel, wann diese heiligende 
Kraft der Zeit eintrete, gebe es nicht 2). — Aber auch außerhalb 
der historischen Schule ist die Verjährungstheorie unter den Neueren 
vielfach vertreten. So führt der Züricher Escher die Legitimität 
jeder Staatsgewalt auf Verjährung zurück 100); die bunten Erfor- 
dernisse, welche er aufstellt, haben wir bereits früher erwähnt 104). Der 
Franzose Ch. de Rémusat findet, daß der Grundsatz der faits 
accchnplis in der Politik auf demselben Gedanken beruhe, wie die 
Verjährung im Privatrecht: gewisse Akte oder Resultate consolidirten 
sich unter dem Einflusse der Zeit so sehr, daß es im öffentlichen 
Interesse liege, sie nicht wieder in Frage zu stellen!s). Der Eng- 
länder Phillimore schließt sich ganz den Ausführungen Savigny's 
an08). Vorzüglich aber hat Bluntschli das Princip der staat- 
98) 1. c. II, S. 405— 406. Vgl. II, S. 292, wo als Anwendungsfall des 
Princips der Verjährung „die (thatsächlich geltende) endliche Legitimität usurpir- 
ter Throne“ angeführt wird. 
99) III, S. 253—254. Mit seiner allgemeinen Ansicht über Legitimität 
sucht Stahl diesen Satz in Einklang zu bringen durch den Grund: „Deun was 
Gott zugelassen und durch die Zeiten erhalten hat, das ziemt der jetzigen Gene- 
ration, die es ohne ihr Zuthun überkommen hat, nicht vor ihr Gericht zu ziehen, 
den Gang der Begebenheiten auszutilgen und noch einmal die Entscheidung zu 
beginnen“; vgl. Walter, S. 223: „Die göttliche Zulassung wird durch die reli- 
giöse Auffassung zu einer göttlichen Fügung.“ Aber ein momenkaner Erfolg des 
Unrechts ist eben so gut wie ein dauernder eine göttliche Fügung; und warum 
sollte es nicht ebenso erlaubt sein, ein Unrecht zu tilgen, wenn man es von den 
Voreltern überkommen hat, als wenn man selbst bei dem Beginn desselben aktio 
oder passiv betheiligt war? Endlich: wenn Gott zugiebt, daß durch anfängliches 
Unrecht ein legitimes Recht aufgehoben wird, warum sollte er eine von vorn 
herein rechtmäßige Aufhebung desselben verbieten? 
100) Praktische Politik, II, S. 159; vgl. I, S. 65. 
101) Note 25. 
) Dictionnaire de la Politique, I, S. 1009, Art. Faits accomplis. 
03) R. Phillimore, Commentaries upon International Lawy, I, S. 
270—271. 
 
	        
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