Full text: Die Legitimation einer usurpirten Staatsgewalt. Erste Abtheilung. (1)

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competent ist, besteht nicht; wofern es sich um Begründung oder 
Uebertragung einer Staatsgewalt handelt, werden freilich Neuwahlen 
für die sichere Ermittelung des wahren Volkswillens, wenn nicht 
rechtlich vorgeschrieben, doch politisch angemessen sein. Es wird sich 
sogar in diesem Falle eine direkte Befragung der stimmfähigen Bür- 
ger durch das besondere Interesse, welches jeder an einer Verände- 
rung des Subjekts der Staatsgewalt hat, dringend empfehlen, wäh- 
rend allerdings andererseits eine gewählte Volksvertretung die Ga- 
rantie reiflicherer Ueberlegung bietet und nicht so leicht durch einen 
Druck beeinflußt werden kann, auch das Resultat ihrer Abstimmung 
viel weniger der Gefahr einer Fälschung ausgesetzt ist. Die sachge- 
mäße Erwägung wird daher in der Regel den auf Begründung 
oder Uebertragung der Staatsgewalt gerichteten Willen des Volkes 
durch eine gewählte Vertretung sicherer ausgesprochen finden als 
durch eine allgemeine Abstimmung; aber Diejenigen, welche vorläufig 
Besitz der Staatsgewalt ergriffen und nur nachträgliche Legitimation 
ihrer Herrschaft durch den Volkswillen erhalten wollen, werden gerade 
aus den Gründen, welche wir gegen die allgemeine Abstimmung 
angeführt haben, dieselbe vorziehen °0). Weder durch allgemeine 
Abstimmung, noch durch die Stimmen seiner Vertreter kann jedoch 
das Volk ein Recht geben, welches es selbst nicht hat. Es wäre 
ein unverzeihlicher Irrthum, wenn man annehmen wollte, diese 
Mittel der Willensäußerung hätten eine selbstständige rechtliche Be- 
deutung und könnten daher auch ohne zu Grunde liegende Volks- 
souverainität eine Usurpation legitimiren ½1). Insbesondere kann 
eine in einer Monarchie zur Mitwirkung bei der Gesetzgebung be- 
rufene Volksvertretung auch nach faktischer Verdrängung des Mon- 
  
160) Eine vortreffliche Beleuchtung der allgemeinen Abstimmung vom Standpunkt 
der Politik hat R. v. Mohl geliefert (Staatsr., Völkerr. u. Politik, II, S. 293—332). 
Als den Grundgedanken dieses Instituts bezeichnet er mit Recht (S. 295) die Absicht, die 
Stimme des Volks selbst zu hören und keinerlei Vertretung oder Fiktion an de- 
ren Stelle zu setzen. Als revolulionäre Maßregel ist die allgemeine Abstimmung 
nach Mohl's Urtheil nur sehr bedingt brauchbar, weil fie selbst unter der Vor- 
aussetzung gehöriger Vorbereitung und ehrlicher und zweckmäßiger Anordnung 
keine große Sicherheit gegen Umkehr und Reue biete (S. 331). 
161) Mohl, S. 302—303, S. 313 ff. (bes. S. 316—318) faßt allerdings 
auch den „Vertrag Aller mit Allen“ über die Neugründung eines Staates als 
eine allgemeine Abstimmung auf; aber bei dem Ausdruck „Abstimmung“ denkt 
man gewöhnlich nicht an die Einigung mehrerer, von einander ganz unabhängi- 
gen Willen, sondern an die Ermittelung eines Gesammtwillens.
	        
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