DER BOCKENDE BERBERHENGST 111
entschloß sich nicht gern zu diesem Besuch in T'anger, da er natürlich
sogleich fühlte und überdies aus meinem Brief ersah, daß es sich dabei nicht
um ein touristisches Sight-seeing, sondern um einen sehr schwerwiegenden
politischen Akt handelte. Dazu kam, daß das Mcer, als Seiner Majestät
meine Anregung zuging, stürmisch bewegt, das Ausbooten und demnächstige
Landen mit der Gefahr eines nassen Bades verbunden war.
Es war bei dieser Gelegenheit, daß der damalige Geschäftsträger in
Tanger, Herr von Kühlmann, zum erstenmal die Aufmerksamkeit Seiner
Majestät auf sich lenkte. Der junge Kühlmann, ein Sohn des langjährigen
Vertreters von Hirsch, dem sogenannten Türken-Hirsch in Konstantinopel,
kam nach dem Eintreffen der „Hamburg“ an Bord des kaiserlichen Schifles.
Die körperliche Gewandtheit, mit der Kühlmann, noch dazu in der
schmucken Uniform des bayrischen Ulanenregiments Seiner Majestät, mit
der Tschapka auf dem Kopf und in langen Stiefeln aus dem auf und ab
schaukelnden Boot an einer Strickleiter an Bord der „Hamburg“ gelangte,
trug wesentlich dazu bei, daß er sich dauernd in der Gunst Seiner Majestät
festsetzte, die seinen ganzen späteren Aufstieg bis zum Staatssekretär
begleitete. Als Minister des Äußern zeigte er leider nicht dieselbe Geschick-
lichkeit und namentlich nicht die gleiche Sicherheit wie bei der Turn-
übung auf dem Hapag-Dampfer. Josef Joachim, der große Violinspieler
und liebenswerte Mensch, erzählte mir einmal, er habe sich im Winter auf
der Rousseauinsel im Berliner Tiergarten im Schlittschuhlaufen versucht.
Als er ein paarmal auf die Nase gefallen war, hatte der dabeistehende
Wärter der Eisbahn mit gutmütigem Lachen gemeint: „Ja, ja, Herr Pro-
fessor, Schlittschublaufen ist nicht so leicht wie Geigespielen.‘“ Mit Kühl-
mann stand es umgekehrt: er mußte die Erfahrung machen, daß sich, um
ein Bismarcksches Bild zu gebrauchen, auf dem straffen Seil der großen
Politik im Gleichgewicht zu erbalten schwieriger ist, als am Fallreep
heraufzuklettern. Kühlmann warf als Staatssckretär des Äußern voll-
ständig um und verschwand seitdem von der politischen Bühne. An jenem
31. März 1905, dem Tage der Landung in Tanger, gelangte der Kaiser
physisch wohlbehalten an Land, aber psychisch durch das Risiko des
ganzen Unternehmens erregt. Dazu kam, daß die Pferde, die ihm der Sultan
an den Landungsplatz entgegengeschickt hatte, Berberhengste, unruhig
gingen, so daß der Kaiser, nachdem er gefürchtet hatte, ein nasses Bad im
Mittelmeer zu nehmen, unmittelbar nachher besorgen mußte, vor den
Augen der staunenden und gaffenden Mauren und Araber von seinem Gaul
heruntergebockt zu werden. Infolgedessen trugen die beiden Ansprachen,
die der Kaiser an den ihn begrüßenden Oheim des Sultans sowie an die
deutsche Kolonie hielt, einen erregteren und schärferen Charakter, als dies
ursprünglich seine Absicht gewesen war.