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Der — oben entwickelten — Ansicht der sächsischen Deputation kann nicht beigepflichtet werden.
Wenn auch die dreijährige Frist nicht weiter fortlaufen kann, sobald und solange innerhalb der-
selben der Fall vorliegt, für welchen die Verpflichtung besteht, die durch den Ablauf der dreijährigen
Frist erlöschen soll, so hat das preußische Armenpflegegesetz doch nur für die Armenpflege im preuß-
ischen Staate Anordnungen treffen wollen, sonach auch den Armenverbänden eine Verpflichtung zur
Armenpflege nur rücksichtlich des im Umfange des preußischen Staats hervortretenden Bedürfnisses
auferlegt und in dieser Richtung nur zwischen den Armenverbänden dieses Staats Rechte und Ver-
bindlichkeiten begründet (§. 38 des Gesetzes vom 31. Dezember 1842). Dem in dem Bezirk des
Unterstützungswohnsitzes selbst hervortretenden Unterstützungsbedürfnisse ist deshalb nur dasjenige mit
gleicher Wirksamkelt an die Seite zu stellen, welches in elner anderen Gemeinde oder einem Guts-
bezirke des preußischen Staats entstanden und aus dessen Befriedigung dem betreffenden Armen-
verbande nach den Bestimmungen des Gesetzes ein Erstattungs-Anspruch gegen den Armenverband
des Unterstützungswohnsttzes erwachsen ist, in Folge dessen der letztere, wenn auch nur mittelbar, die
Unterstützung zu leisten hat.
Daß nach §. 5 des Freizügigkeitsgesetzes vom 1. November 1867 die dem Geltungsgebiete
dieses Gesetzes angehörende Stadt Braunschweig berechtigt war, dem N. die Fortsetzung des
Aufenthaltes daselbst zu versagen und derselbe in Folge dessen als dem preußischen Staate angehörig
nach dem damals noch geltenden §. 7 dieses Gesetzes und nach näherer Maßgabe des Gothaer
Vertrags vom 15. Juli 1851 von Preußen wieder übernommen werden mußte, konnte allein an
den gesetzlichen Verpflichtungen preußischer Armenverbände nichts ändern. Diese Bestlmmungen
begründeten nur Verpflichtungen des einen Staates gegen den anderen, und soweit hiernächst inner-
be des übernehmenden Staats über die dem Uebernommenen zu gewährende Armenpflege nach
dessen Landesgesetzen zu bestimmen ist, kann damit ein Armenverband nicht weiter belastet werden,
dessen Verpflichtung nach Maßgabe dieser Landesgesetze nicht mehr besteht, weil innerhalb der gesetz-
lichen Frist keine Thatsache eingetreten ist, welche vom Gesetze als eine solche anerkannt wäre, die
eine Verpflichtung zur unmittelbaren oder mittelbaren Gewährung der Armenpflege begründet und
deshalb geeignet ist, den Ablauf der dreijährigen Frist zu verhindern.
N. hatte also, schon als unter dem 31. Dezember 1870 von dem Magistrate zu Braunschweig
an denjenigen zu Buckau die erste Aufforderung erging, die Armenpflege über ihn zu übernehmen,
umsomehr bei dem Hervortreten seiner Unterstützungsbedürftigkeit in Preußen am 1. Juli 1871,
durch seine am 7. Dezember 1867 begonnene, mehr als dreijährige Abwesenheit, den früheren Unter-
stützungswohnsitz in Buckau verloren, aber (wie in den Gründen thatsächlich näher nachgewiesen ist)
einen neuen auch nicht erworben.
Es folgt hieraus, daß N. als landarm zu betrachten und der Verklagte nach §. 9 des damals
noch in Kraft stehenden preußischen Armenpflegegesetzes verflichtet ist, die Armenfürsorge für den-
selben von dem in der Klage bezeichneten Zeitpunkte an zu übernehmen.
Das nachstehend mitgetheilte Erkenntniß in Sachen Neumark wider Klein-Latzkow vom 2. Februar 1874
beruht auf folgendem Sachverhalt:
Der domszillose Schumacher F. war mit seinen Angehörigen in Waldenburg aus nicht er-
mitteltem Grunde ausgewiesen und mit Zwangspaß nach seinem Geburtsorte Kleln-Latzkow versehen
worden. Unterwegs mit Zehrgeld unterstützt, kam er nach mehrwöchentlicher Reise in Klein-Latzkow
an und nahm daselbst die Armenpflege zur Beschaffung eines Obdaches in Anspruch. Er wurde in
eine Arbeiterwohnung des Gutes untergebracht und weil die Betreibung seines Gewerbes als Schuh-
macher angeblich keinen zur Ernährung der Familie ausreichenden Ertrag lieferte, auch sonst mehrfach
unterstützt, eine Unterstützung, welche sich später auf die Angehörigen beschränkte, nachdem F. wegen
Säumniß in der Beschaffung einer eigenen Wohnung bestraft und in Haft genommen worden war.
Der Landarmenverband der Neumark, welcher schon bald nach dem Eintreffen der Familie in Klein-
Latzkow um Uebernahme derselben in eigene Fürsorge angegangen worden war, lehnte die Ueber-
nahme ab, indem er, von der ihm nach §. 34 des preußischen Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871