Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 221
kürzen, um der franz. Regierung gegenüber einem Beschluß ihrer Landesver-
tretung, der für uns unannehmbar war, entgegenzukommen. Der Artikel 3,
den die französische Volksvertretung einzuschalten für nöthig hielt, hätte uns
Unmöglichkeiten in der Zollverwaltung gebracht, zu denen wir uns auf keine
Weise verstehen können. Es ist mir sehr erwünscht gewesen, daß die französische
Regierung überzeugt war, diesen Tausch von 6 Monaten vor ihrer Volks-
vertretung rechtfertigen zu können. Die Frage, Elsaß ohne irgend eine Zoll-
erleichterung sofort in die neuen Verhältnisse eintreten zu lassen, hat auch
vorgeschwebt. Es ist Das eine Frage, in welcher man die Zukunft schärfer
voraussehen müßte, als es dem menschlichen Geiste gegeben ist, um zu sehen,
ob die politischen Vortheile oder die finanziellen und volkswirthschaftlichen
Schäden größer sind. Wir haben eine mäßige Frist für billig gehalten.
Die territoriale Frage, nämlich die Veränderung der bereits genehmigten
Grenzen in Bezug auf drei Gemeinden, die beiden Raons und eine südlich
von Avricourt, ist von geringer Bedeutung. Nachdem die Grenze in Ver-
sailles bereits festgestellt war, waren von Frankreich Reclamationen geltend
gemacht worden, welche sich außer auf die genannten Orte hauptsächlich auch
auf das in der Nähe der Luxemburger Grenze gelegene große Industriewerk
Moyoeuvre bezogen, das zwei Ausgänge nach beiden Landesgebieten hat. Ich
habe schon damals nach Anhörung competenter Stellen erklärt, daß wir in
Bezug auf die erste Frage (Raon und Avricourt) zu Verhandlungen bereit
wären, allerdings gegen Entgelt, wenn es noch irgend etwas abzurechnen geben
werde; bei Moyoeuvre konnten wir mit Rücksicht auf die territoriale Lage nicht
nachgeben. Die durch und durch französischen Gemeinden von Raon haben
für uns keinen besondern Werth, mit Ausnahme einer bei uns verbleibenden
werthvollen fiscalischen Waldung. Bei der Gemeinde südlich von Avricourt
verzweigen sich zwei kleine Eisenbahnen, die eine südlich abgehend nach einem
französischen Ort, die andere nördlich nach einer deutschen Stadt. Es ist nun
im Interesse beider Länder gelegen und besonders den dortigen Bewohnern er-
wünscht, ihr Heimathsland erreichen zu können, ohne durch fremdes Gebiet
zu kommen. Diese Berücksichtigung schien billig, und deßhalb haben wir
nachgegeben unter der Bedingung, daß Frankreich uns einen entsprechenden
militärischen Vortheil bietet und eine Verbindung der beiden Eisenbahnen auf
seine Kosten auf sich nimmt. Indem ich gern bereit bin, auf Verlangen noch
jegliche Auskunft über einzelne Motive der Convention zu geben, erlaube ich
mir die Annahme derselben um so mehr Ihrer wohlwollenden Erwägung zu
empfehlen, als es bei dem Zusammenhange, in den die beiden Verträge in
unserem Interesse gestellt sind, wünschenswerth ist, die französische Regierung
möglichst bald von Ihrer Zustimmung in Kenntniß setzen zu können.
26. Oct. (Bayern.) Der Bischof von Regensburg und ebenso der Erzb.
v. Bamberg treten gegenüber der Resolution des Münchener Katholiken-
congresses und des Darmstädter Protestantentags in Erklärungen mit
großem Eifer für den Jesuitenorden in die Schranken.
29. „ (Bayern.) Der Erzb. v. München excommunicirt zwei Pfarrer
seiner Diöcese wegen beharrlicher Weigerung, das neue Unfehlbarkeits-
dogma anzuerkennen, und entsetzt dieselben ihrer Pfründen. Beide
weigern sich, auf dieselben zu verzichten und der Staat leiht dem
Erzbischof den weltlichen Arm nicht, um seine Sentenz zu exequiren.
Dem einen steht dabei die Mehrheit seiner Gemeinde zur Seite, dem
andern dagegen nicht (Wallfahrtsort).
30. „ (Deutsches Reich.) Reichstag: Erste Lesung des Gesetzes betr.
die Feststellung des Haushalts-Etats des deutschen Reichs für 1872.