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Trennung des Hausstandes der Mutter gefolgt sind, den von dieser in Ilberstedt nach 8. 17 eit. erworbenen
Unterstützungswohnsitz nach deren Tode ex 8. 19 Absatz 2 ib. als einen selbständigen beibehalten haben.
Wenn der Beklagte hiergegen einwendet, daß, von dieser Anwendung des Prinzipes der Familieneinheit aus-
gehend, der Ehemann nun auch den von der getrennt lebenden Ehefrau durch zweijährigen Aufenthalt
erworbenen Unterstützungswohnsitz theilen müsse, und dann nicht der Beklagte, sondern der Ortsarmenverband
Slberstedt derjenige sein würde, welcher die vom Kläger verauslagten Kosten zu erstatten habe, so ist dieses
unrichtig. Die in den Fällen des §. 17 der Frau gewährte Selbständigkeit bezüglich des Erwerbes des
Unterstützungswohnsitzes reicht in ihren Wirkungen nicht weiter, als daß die Frau im Falle des Bedürfnisses
von dem Ortsarmenverbande zu unterstützen ist, in welchem sie den selbständigen Unterstützungswohnsitz
erworben hat, ohne daß dieserhalb derjenige des Unterstützungswohnsitzes ihres Mannes, oder wenn er einen
solchen nicht hat, der Landarmenverband in Anspruch genommen werden könnte. Die Wirksamkeit eines
solchen selbständig erworbenen Unterstützungswohnsitzes erstreckt sich niemals auf den Ehemann und nimmt
auch rücksichtlich der Frau wieder ein Ende, wenn die äußere Familieneinheit zwischen den Gatten freiwillig
durch Wiederaufhebung der befugten Trennung hergestellt wird. Seine Wirksamkeit darf sich daher auch
nicht über die eben gedachte Grenze hinaus erstrecken und die Familieneinheit in noch weiterem Umfange
aufheben, da sonst selbst die Möglichkeit einer freiwilligen Wiedervereinigung und des Wiederzusammenlebens
der Ehegatten dadurch in Frage gestellt sein würde, indem z. B. der zu seiner Frau zurückgekehrte und mit
derselben wieder vereinigte Ehegatte auf Grund des Freizügigkeitsgesetzes ohne seine Ehefrau von dem Unter-
stützungswohnsitze der letzteren abgewiesen, auch beim Vorhandensein dauernder Hülfsbedürftigkeit dessen Ueber-
nahme ohne die Ehefrau von einem andern Armenverbande verlangt werden könnte, welchem die Fürsorge
für letztere dauernd obliegt.
Zustellung an einen Beamten oder Bediensteten des Gutsvorstehers.
Durch Erkenntniß des Königlichen Bezirksverwaltungsgerichts zu Marienwerder vom 4. Oktober 1882
war der Gutsarmenverband Rinkowken verurtheilt, dem Ortsarmenverbande Schulwiese die für den Arbeiter
K. aufgewendeten Unterstützungen in Höhe von 107 J/4 70 .3 zu erstatten. Die von dem Gutsarmenver-
bande Rinkowken hiergegen eingelegte Berufung war an sich verspätet, da der die Anmeldung des Rechts-
mittels enthaltende Schriftsatz bei der Spruchbehörde erster Instanz erst am 19. November, dagegen die Zu-
stellung des ersten Erkenntnisses an den Beklagten bereits am 30. Oktober 1882 erfolgt war. Es kam
indeß in Frage, ob die Zustellung des Erkenntnisses, welches in Abwesenheit des Gutsvorstehers an einen in
der Zustellungsurkunde als „Vertreter“ desselben bezeichneten Förster K. behändigt worden war, als gesetzlich
gerechtfertigt anzusehen sei.
Die angestellten Ermittelungen ergaben, daß K., ein Privatförster des Rittergutsbesitzers von A. zu
Rinkowken, allerdings stellvertretender Gutsvorsteher für diesen Gutsbezirk nie gewesen, wohl aber in der
fraglichen Zeit dem Rechnungsführer G. für die Gutsverwaltung und Gutspolizeisachen zur Hülfe beigegeben
war, Geschäfte, welche in einer besonderen Gutsschreiberei zu Rinkowken erledigt wurden.
Auf Grund dieser Feststellungen wies das Bundesamt durch Erkenntniß vom 29. September 1883
die eingelegte Berufung als verspätet zurück. Die
Gründe
der Entscheidung lauten:
Nach der hier zur Anwendung kommenden Vorschrift des 8. 169 Civ. Pr. Ordn. kann, wenn der
gesetzliche Vertreter oder der Vorsteher einer Behörde, einer Gemeinde, einer Korporation u. s. w. in dem
Geschäftslokale nicht angetroffen wird, die Zustellung an einen anderen in dem Geschäftslokale anwesenden
Beamten oder Bediensteten bewirkt werden. Allerdings ist K. stellvertretender Gutsvorsteher für den Guts-
bezirk Rinkowken nie gewesen, wohl aber war er nach der Anzeige des Rittergutsbesitzers von A. vom
29. Juni 1883 in der fraglichen Zeit dem Rechnungsführer G. für die Gutsverwaltung und Gutspolizei-
sachen zur Hülfe und Information beigegeben. K. war sonach jedenfalls ein Bediensteter des Gutsvorstehers
bei Besorgung der Gutsvorstehergeschäfte, für deren Erledigung, wie aus der Anzeige des Ritterguts-
besitzers von A. weiter zu entnehmen, in der Gutsschreiberei zu Rinkowken ein besonderes Geschäftslokal besteht.
In dieser Eigenschaft war derselbe in Abwesenheit des Gutsvorstehers zur Empfangnahme des ersten Erkenntnisses
zweifellos berechtigt. Die in §. 46 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 vorgeschriebene vierzehntägige
Ausschlußfrist zur Einlegung der Berufung ist somit von dem Tage der Zustellung des Erkenntnisses an K.
zu berechnen, woraus folgt, daß die angemeldete Berufung als verspätet zurückgewiesen werden muß.