76 II. Reichsgesetzgebung. Art. 3.
Gesetz über den Erwerb und Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit
beseitigt werden.
4. bei unehelichen Kindern durch eine gemäß §8§ 1719 ff. B. G. B.
erfolgte Legitimation, wenn der Vater einem anderen Staate angehört als
die Mutter.
5. bei einer Deutschen durch Verheiratung mit dem Angehörigen eines
anderen Bundesstaates oder mit einem Ausländer.
Dies find die Wege, durch welche die Zugehörigkeit zu einem deutschen
Bundesstaat erworben und verloren wird, und die Zugehörigkeit zu einem
Bundesstaat ist die Voraussetzung für den Erwerb des im Art. 3 bezeich-
neten gemeinschaftlichen Indigenats. Andererseits zieht der Erwerb und
Verlust der Staatsangehörigkeit auch den Erwerb und Verlust der Reichs-
angehörigkeit nach sich (§ 1); nur in den Schutzgebieten kann nach § 9 des
Schutzgebietsgesetzes in der Fassung v. 10. Sept. 1900 Rol. S. 815 die
Reichsangehörigkeit ohne Staatsangehörigkeit erworben werden.
III. Die Rechtsfolgen des gemeinsamen Indigenats.
1. Der Angehörige eines jeden Bundesstaats
ist in jedem anderen Bundesstaat als Inländer zu behandeln.
Diesen Satz hat der Abg. v. Wächter in der Sitzung des konst.
Reichstags v. 19. März 1867 St. B. 251 dahin umschrieben:
„Art. 3 geht dahin, daß jeder Bürger des einzelnen Bundesstaates in
dem anderen Bundesstaate ganz dieselben Rechte hat, wie der Angehörige
jenes anderen Bundesstaates.“"
In demselben Sinne hat sich der Staatssekretär des Innern Graf v.
Posadowsky-Wehner in der Reichstagssitzung v. 1. Dez. 1899 St. B. 3196
geäußert:
„Nach Art. 3 kann jeder Bundesangehörige verlangen, daß er
in jedem Bundesstaate so behandelt wird, wie die Inländer behandelt
werden."
Art. 3 gibt nicht etwa den Deutschen gegenüber den Ausländern Vor-
zugsrechte, sondern schreibt nur die gleiche Behandlung für alle Deutschen
vor, und daraus folgt, daß das geltende Recht, soweit es diesem Grund-
satz entgegensteht, als aufgehoben gilt und daß neue Rechtssätze solcher Art
nicht mehr eingeführt werden dürfen; vgl. Laband I S. 169. Der Grund-
satz hat seine praktische Bedeutung für alle reichsgesetzlich noch nicht
geregelten Gebiete behalten. Daß umgekehrt alle Deutschen die gleichen
Pflichten haben müssen, schreibt Art. 3 nicht vor; seinem Wortlaut nach
bezieht er sich nur auf Rechte. Im allgemeinen korrespondieren die Pflichten
den Rechten. Soweit dies nicht der Fall ist und soweit es gewisse staats-
bürgerliche Pflichten gibt, die nur dem eigenen Bundesstaat gegenüber zu
erfüllen find, hat es gewiß nicht in der Absicht gelegen, durch Art. 3 hieran
etwas zu ändern. Daß, abgesehen von solchen besonderen staatsbürgerlichen
Pflichten, ein Bundesstaat die Tendenz haben könnte, die Angehörigen anderer
Bundesstaaten von Pflichten zu befreien, die er seinen eigenen Angehörigen
auferlegt, liegt außerhalb des Bereichs der praktischen Möglichkeiten. Sollten
andererseits die Angehörigen des eigenen Bundesstaats von Pflichten befreit
werden, die den Angehörigen anderer Bundesstaaten auferlegt werden, so