Full text: Regierung und Volkswille.

Wirkung der Intransigenz der Sozialdemokraten. 149 
wir einmal die Forderungen, die im Erfurter Programm 
gestellt werden, mit den urgermanischen Zuständen. „Ver- 
gesellschaftung der Produktionsmittel“ — Produktionsmittel 
waren damals Grund und Boden; die gehörten dem Volk; 
privaten Grund und Boden gab es nicht. „Direkte Geset- 
gebung durch das Volk“ — eine andere Gesetzgebung 
gab es nicht. „Rechtsprechung durch das Volk“ — ebenso. 
„Wahl der Regierung durch das Volk“ — die Fürsten wurden 
vom Volke gewählt. „Allgemeines Volksheer“ — jeder 
Germane war ein Krieger. Entscheidung über Krieg und 
Frieden durch das Volk. Fügen wir schließlich hinzu, daß 
es kein stehendes Heer und keine Steuern gab, so haben 
wir einen sozialdemokratischen Idealstaat, daß das Erfurter 
Programm verblaßt dagegen. Wir brauchen jetzt nicht mehr 
so sehr nach dem Zukunftsstaat zu suchen und zu fragen, 
wir können ihn wirklich in der Historie finden. Ob wir 
ihn dann noch einführen wollen, ist eine andere Frage, eine 
Frage, die ich dem Einzelnen und der Zukunft überlassen 
will. 
Praktisch aber entsteht an dieser Stelle die Schwierig- 
keit für das gute Funktionieren des dualistischen Regierungs- 
systems. Wenn alle Parteien, wie es in diesem Augenblick 
bis auf einen gewissen Grad der Fall ist, bereit sind, über 
jede neu auftretende Forderung zu verhandeln, dann ist es 
gar nicht schwer, so oder so eine Majorität zusammen zu 
bringen. Wenn aber eine große, ganz intransingente Partei 
da ist, dann kann es allerdings sehr schwer werden. Das 
sind heute höchstens noch die Sozialdemokraten. Bismarck 
hatte es darin noch sehr viel schwerer. Es gab damals noch die 
sogenannte deutsch- freisinnige Partei unter der Führung des 
Abgeordneten Eugen Richter, mit der so gut wie gar nicht 
zu verhandeln war (Bismarck hat einigemale Versuche ge-
	        
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