Ursache der Vorherrschaft der Agrarier. 153
verstehens, der Überlegenheit werfen, kritisieren, zeigen,
wie und wo Ersparnisse gemacht werden können, die Ge-
rechtsame des Volkes verteidigen, den Gewalthabern die
Wahrheit sagen, das alles kann man dann nicht mehr
so frei, wenn man selbst an der Regierung teilnimmt.
Darum finden Sie, daß in Frankreich und England, wo
doch auch viel Unzufriedenheit herrscht, sie doch nicht so stark
hervortritt wie bei uns. Namentlich nicht in England; weil
dort die eine Hälfte der Masse immer in der Regierung ist
und sich Mühe geben muß, zu verstehen, was die Minister
machen, und es einigermaßen verteidigen. Bei uns
herrscht statt dessen der Mittelweg, daß jede Richtung der
sog. bürgerlichen Parteien immer etwas mitwirkt, aber nie
ganz, während eine sehr große Partei, die sozialdemokra-
tische, fast stets ganz draußen steht. Das reizt natürlich die
Stimmung stets zur Kritik und diese wird zur Nörgelei. Schließ-
lich schadet das nicht so sehr viel; in großen Momenten kommt
man darüber hinweg. Wichtiger ist aber, daß durch die
Existenz intransigenter Parteien eine naturgemäße den
großen Tendenzen der Entwicklung konforme Regierung ver- Sosialdemokratie
hindert werden kann. Wir haben jetzt den eigentümlichen und Agrariertum
Zustand, daß wir einen scharf agrarischen Reichstag und eine
agrarische Regierung haben, obgleich nach der letzten Volks-
zählung vom Jahre 1907 nur 28,6% der Gesamtbevölke-
rung landwirtschaftlich sind. Im Jahre 1895 waren es
noch 35,7 %. So rapide ist der Anteil der landwirtschaftlichen
Bevölkerung am Gesamtwirtschaftsleben im Rückgang. Da
jetzt wieder sechs Jahre verflossen sind, ist noch kaum
ein Viertel, oder wenig mehr als ein Viertel der Bevölke-
rung agrarisch. Trotzdem haben die Agrarier die Majorität,
eine große Majorität, im Reichstag. Freihändlerisch sind
nur die Sozialdemokraten und die freisinnige Partei. Das