Fünftes und Schlusskapitel. 255
schliesslich in den rechtlichen Formen der Ver-
fassungsänderungen.
Die Reichsverfassung räumt für die Aenderung gemein-
gültiger Verfassungsbestimmungen, an deren Aufrechter-
haltung oder Abänderung ein gleichartiges rechtliches Inte-
resse wenn nicht aller Bundesglieder, doch einer Mehrzahl
vorausgesetzt ist, bereits dem Widerspruche von 14 Stimmen
im Bundesrathe die rechtliche Wirkung der Ablehnung des
Gesetzentwurfes ein. Sie verlangt überdies die Zustimmung
des berechtigten Bundesstaates selbst für die Aenderung
solcher Vorschriften der Verfassung, die weil sie bestimmte
Sonderrechte nur einzelner begründen, ein rechtliches In-
teresse mehrer Bundesstaaten an deren Aufrechterhaltung nicht
vermuthen, ja vielleicht ein allgemeines Interesse an ihrer
Aufhebung als möglich erscheinen lassen.
Diese Erfordernisse gelten für Verfassungsänderungen
aller und jeder Art in dem Sinne, dass es gleichgültig ist, , ob
sie durch ein Gesetz oder auf Grund eines Vertrages erfolgen;
dass es gleichgültig ist, ob die Aenderung Bestimmungen der
Verfassungsurkunde selbst trifft oder solche Bestimmungen,
die durch Bezugnahmen der Verfassung den ersten gleich-
werthig erklärt worden sind oder endlich solche, die in der
Form selbständiger Gesetze Vorschriften der Verfassungs-
urkunde ersetzt oder erweitert haben ®.
6 Thudichum, Verfassungsrecht pag. 84. sagt: „Gesetze, welche
Theile der Verfassungsurkunde ersetzen oder erweitern, können ebenfalls
wieder nur unter Zustimmung einer Zweidrittelmajorität des Bundesraths ab-
geändert oder aufgehoben werden, wenn in ihnen bestimmt ausgesprochen
ist, dass die neuen Bestimmungen einen Bestandtheil der Verfassungsurkunde
bilden sollen. Ist dies nicht der Fall, so haben dieselben die Natur eines ein-
fachen Bundesgesetzes.“ Allein was in den Formen der Verfassungsänderung
‚als eine Ersetzung oder Erweiterung der Verfassungsurkunde beschlossen ist,
das ist eine andere oder weitere Verfassungsbestimmung und das kann un-
möglich als einfaches Gesetz gelten und in dessen Formen geändert oder auf-
gehoben werden ‚,. solange Artikel 78 schlechthin und ohne Unterscheidung
für „Veränderungen der Verfassung“ seine Vorschriften macht. Allerdings
exemplifizirt Thudichum auf das Gesetz vom 12. Juni 1869 über das Ober-