Full text: Der neue Kurs.

voraussehen ließen. Auch glaube er als Kanzler nicht mehr das 
volle Vertrauen Seiner Majestät zu besitzen, da er bei mehreren 
Gelegenheiten nicht vorher um Rat gefragt worden wäre. Der 
Kaiser antwortete umgehend telegraphisch, daß er das Gesuch ab- 
lehne und weiteres mündlich mitteilen werde. In der darauf folgen- 
den Unterredung wiederholte der Kaiser, daß er keine Trennung 
wünsche, wohl wissend, daß ein anderer Kanzler noch weniger 
von diesem Reichstag zu erreichen imstande wäre. Beim Emp- 
fange der ostpreußischen Agrarier sei sein Ziel gewesen, sie auch 
für den Kanzler versöhnlicher zu stimmen. Graf Caprivi gab 
darauf dem Wunsche des Kaisers nach, erbat aber und erhielt die 
Erlaubnis, eine Abschrift seines Abschiedsgesuches dem Grafen Eulen- 
burg zur Kenntnis zu bringen. 
Am 24. Oktober war der Kaiser zur Jagd in Liebenberg beim 
Grafen Philipp zu Eulenburg. Herr v. Holstein wollte wissen, 
daß sich der Kaiser in der Unterredung mit Capriovi erboten hätte, 
ihm einen sichtbaren Beweis seines Vertrauens zu geben. Nach 
seiner Meinung hätte der Kanzler davon Gebrauch machen und 
die Entlassung des Grafen Botho verlangen müssen. Am 25. Ok- 
tober erschien der Artikel der Kölnischen Zeitung, in dem von 
einem schroffen Gegensatze des preußischen Ministerpräsidenten zu 
den Anschauungen des Kanzlers die Rede und die volle Unter- 
stützung des Kaisers für den Grafen Caprioi dick unterstrichen war. 
Am gleichen Tage Konferenz der stimmführenden Minister mit 
dem Ergebnis allgemeiner Ablehnung von Plänen, die zu erbitterten 
Kämpfen unter den bürgerlichen Parteien führen müßten. Am 
26. Oktober vormittags der Kabinettschef v. Lucanus beim Kanz- 
ler mit der Aufforderung, den Artikel der Kölnischen Zeitung ab- 
zuschütteln, Weigerung Caprivis, dem kaiserlichen Verlangen nach- 
zukommen, da er nichts mit der Darstellung des rheinischen Blattes 
zu tun habe. Mittags bei dem Gottesdienst für den verstorbenen 
Zaren in, der russischen Botschaft Meldung eines Flügeladjutanten 
an Caprivi, er möchte um 2 Uhr zum Kaiser ins Schloß kommen. 
Bei der kurzen Audienz Erklärung des Kaisers, daß er nunmehr wegen 
der fortgesetzten Reibereien das Rücktrittsgesuch genehmigen wolle. 
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