Full text: Der neue Kurs.

Die nächst der sozialdemokratischen Partei an Wählerzahl und 
zugleich an innerer Geschlossenheit stärkste Partei war das Zen- 
trum. In seinem Besitzstand infolge der Massierung der Katholiken 
in bestimmten Teilen des Reichs vollständig gesichert, in langem 
Kampfe gegen den Fürsten Bismarck und unter Führung der klei- 
nen Exzellenz von Meppen, des klügsten und gewandtesten Steg- 
reifdebatters, politisch geschult wie keine andere Partei, ein fest 
verbundenes Konglomerat von demokratischen und aristokratischen 
Elementen, stand das Zentrum unerschütterlich auf dem Grundsatz: 
Kein Ausnahmegesetz und erst recht kein Verfassungsbruch. In der 
Politik der Partei trat in der ersten Zeit nach Windthorsts Tode 
der Zug nach links stärker hervor. Das zeigte sich schon bei dem 
Streit um die Militärreform und noch mehr bei dem Beschluß 
über den Antrag Graf Hompesch-Richter-Singer vom 23. März 
1895, durch den die Absicht des konservativen Präsidenten v. Levetzow, 
dem Fürsten Bismarck zu seinem achtzigsten Geburtstag einen Glück- 
wunsch zu senden, vereitelt wurde. Nach der tiefen Entrüstung, die 
der Beschluß bei den alten Kartellparteien erregte, konnte nicht 
mehr an die Verwirklichung des von dem Minister v. Miquel be- 
günstigten Planes einer Verständigung dieser Parteien mit dem 
Zentrum gedacht werden. Die nächste Folge war, daß der Präsi- 
dent v. Levetzow und der zweite Vizepräsident, der Nationalliberale 
Dr. Bürklin, zurücktraten und an ihrer Stelle die Zentrumsmit- 
glieder v. Buol, bisher erster Vizepräsident, und Peter Spahn ge- 
wählt wurden. Mit begreiflichem Stolze beging zu gleicher Zeit 
die einst verfemte Partei ihr fünfundzwanzigjähriges Jubiläum. 
Die konservative Partei, ebenfalls ihrer Wählerschaft in 
den weiten ländlichen Bezirken noch sicher — dafür hatte das 
System Puttkamer in der preußischen Verwaltung hinlänglich ge- 
sorgt —, litt unter den Nachwehen der Wandlungen, die in ihr 
in der zei vor und nach dem Sturze Bismarcks vorgegangen 
waren. Im Sommer 1895 wurde sie durch die Veröffentlichung 
des sogenannten Scheiterhaufenbriefes des Abgeordneten Stöcker 
empfindlich getroffen. Nicht durch Untreue oder Verrat, sondern 
auf dem Wege des Kaufes von dem bankerotten Redakteur der 
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