Zu diesen tiefen Bewegungen und Spaltungen kam nun noch
eine erbitterte Gegnerschaft zwischen der Person des Kaisers und
Königs und dem sozialdemokratischen Arbeitervolk hinzu. Am Sedan-
tage 1305 beim Parademahle im Königlichen Schloß zu Berlin
ward das Wort gesprochen: „Eine Rotte von Menschen, nicht wert,
den Namen Deutsche zu tragen. “ Ahnliche waren vorhergegangen
und folgten nach. Sind sie auch heute ausgelöscht, so lassen sie sich
doch in keiner Betrachtung der schweren Wirrsale jener Zeit über-
gehen. Sie aus ihr zu erklären, ist nicht schwer. Das Wort von
der Rotte war herausgefordert worden durch eine wilde Agitation
in Schrift und Wort gegen das Feiern der 25 jährigen Gedenktage
des Deutsch- Französischen Krieges. Den Ton gab der Vorwärts
an. Er sprach von einer mordspatriotischen Feier, in die patrio-
tische Kapitalisten ihre Arbeiter hineinpeitschen wollten, und erging
sich in rhetorischen Fragen wie dieser: „Wo ist der Mann unter
dem deutschen Industrieproletariat, der solcher frechen Betätigung
des Mordspatriotismus nicht hohnlachend und mit Ekel erfüllt gegen-
überstände? Wo ist der Hanswurst unter den Ausgebeuteten, der
sich ohne Ingrimm im Herzen durch Beteiligung an solcher Feier
entehrte? Welcher klassenbewußte Arbeiter in deutschen Landen reichte
im Anblick des mordspatriotischen Geheuls nicht mit doppelter
Innigkeit seinen französischen Brüdern und Leidensgefährten die
Hand, eingedenk der Losungsworte, vor denen die Bourgeoisie der
ganzen Welt erblaßt als vor einem Menetekel: „Proletarier aller
Lender, vereinigt euch!“ Diese Sprache war nicht nur höchst ge-
schmacklos und. prahlerisch, sondern atmete auch den Geist der größ-
ten Unduldsamkeit, wie ihn die Jakobiner der großen Französischen
Revolution betätigt hatten. Solche Beispiele einer maßlosen Uber-
hebung kamen in der sozialdemokratischen Presse keineswegs nur
vereinzelt vor. Auch an Beschimpfungen des Andenkens an den
alten Kaiser Wilhelm fehlte es nicht. Die Entrüstung bürgerlicher
Kreise darüber war so stark, daß es sozialdemokratische Abgeordnete
gemäßigter Richtung, wie der süddeutsche Abgeordnete Auer, für
gut hielten, den Vorwurf der Reichsfeindschaft und antinationaler
Gesinnung abzuwehren und die doch recht schwache Behauptung
149