gut als möglich, so kann doch der jetzt regierende Zar, wie schon
sein Vater, der innige Freund unseres alten Kaisers Wilhelm,
einmal dahin gedrängt werden, uns mit Krieg zu bedrohen.
Zwischen Rußland und Frankreich hat sich eine innere Annähe—
rung vollzogen, ob Flirt oder Allianz — zwei Liebende zünden
von Zeit zu Zeit Freudenfeuer an, und die Funken fliegen
über unseren Hof. Wenn wir an einen künftigen Krieg denken,
müssen wir uns den mit zwei Fronten denken, und zwar nicht als
Ausnahme, sondern als den wahrscheinlichen Fall.“ Wie ist es
gekommen, daß wir die militärische Suprematie in Europa ver-
loren haben? „Nach Sedan ist man in einer anderen Stimmung als
nach Jena und Auerstädt. Der Sieger fragt, mit welchem Mini-
mum von Leistungen kann ich die Früchte meines Sieges erhalten,
der Besiegte fragt, welches Maximum von Leistungen kann ich auf-
bringen, um das Verlorene wiederzubekommen.“ Darauf eine ein-
dringliche lebendige Schilderung des Reformplans mit dem Schluß:
„Wir müssen uns klar darüber werden, daß wir einen Kampf ums
Dasein zu führen haben — einen Kampf ums Dasein politisch,
materiell und kulturell. Wir müssen der kommenden Generation
das Werkzeug zurechtstellen, mit dem sie das, was sie ererbt hat,
noch einmal wird gewinnen können und gewinnen müssen, um es zu
besitzen; wir würden bittere und berechtigte Vorwürfe des kommen-
den Geschlechts auf uns laden, wenn wir etwas versäumten, was im-
stande wäre, das Glück zu erhalten, das wir zum ersten Male
empfunden und kennengelernt haben, das Glück: Bürger eines
einigen Deutschlands zu sein.“
Das durch die Rede klingende Leitmotio war: Der nächste
Krieg — er wird in seinen Leiden und politischen Folgen alle
früheren Kriege übertreffen! Auch die Kriegführung wird eine andere
sein. Es wird mehr als bisher auf Handlungen einzelner ankom-
men, Handlungen einzelner aber, die sich freiwillig in Masse zu-
sammenfassen müssen. Das hatte der Kanzler-General schon ein
Jahr vorher gesagt, und deshalb konnte auch die mechanische Er-
höhung der Sollziffer des Heeres nicht mehr nützen, eine neue Orga-
nisation mußte hinzukommen.
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