Hans v. Frisch. Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung. 49
Dazu kommt, dass die Demokratie den Bürger gewöhnt, sich um vielerlei Dinge zu kümmern, die
ihn nichts angehen: er fängt an, in alles mögliche hineinzureden und sich ein Urteil darin anzu-
massen..... “ So schildert Windelband4) Plato’s Klagen über die Schäden der Demokratie.
Dem so verkommenen Staatswesen tut eine gründliche Reform not und diese nimmt Plato in der
Politeia vor. Er will vor allem den Egoismus der Bürger, der sich in der Demokratie ausgebildet
hatte, bekämpfen und die Individuen vollständig dem Staate unterordnen und in den Dienst der
Gesamtheit stellen. Darin geht er aber so weit, dass der Einzelne vollkommen diesem den Staat
beherrschenden Prinzipe zum Opfer fällt.
Plato lässt den Staat entstehen aus dem Streben des Individuums nach Unterstützung
durch die Mitmenschen ;5) er geht also aus von der Absicht der Menschen, einander das Leben zu
erleichtern. Dieses Ziel ist aber mit der Gründung des Staates oder vielmehr der Gesellschaft bereits
erreicht. Die Zwecke, die der fertige Staat verfolgt, sind viel höhere, ideale, er soll alle Menschen
glücklich machen,6) und dies ist nur möglich durch Verwirklichung der Tugend. Der Staat will
also die Bürger zur Tugend erziehen. Die zahlreichen Einzelvorschläge, die Plato nun bei der nä-
heren Ausführung seines Idealstaates macht, wie Weiber- und Kindergemeinschaft, Aufhebung
des Privateigentums u. s. f. sind hier nicht näher zu besprechen. Aber das ganze irdische Leben ist
im Platonischen Staat schliesslich nur Vorbereitung für das Jenseits, wo die Tugend erst belohnt
wird.
Dieselbe Aufgabe wie in der Politeia setzt Pla to dem Staat in den „Gesetzen“; auch hier
ist die allgemeine Glückseligkeit höchstes Ziel des Staates und auch hier hat der irdische Staat nur
für das Jenseits vorzubereiten. Dabei sollen die staatlichen Gesetze im einzelnen so beschaffen sein,
dass sie die starre Konservierung der herrschenden Einrichtungen verbürgen und jeden Fortschritt
unmöglich machen. Alles Eindringen von Neuerungen aus dem Auslande soll verhindert werden,
was natürlich wiederum nur unter äusserster Beschränkung der freien Persönlichkeit möglich ist.
Plato schildert hier einen agrarischen Polizeistaat schlimmster Sorte, der unter dem Drucke der
denkbar strengsten Sittenpolizei steht und auf Erden keine andere Aufgabe hat, als sich selbst zu
erhalten.
Den in der „Politeia‘ konstruierten Staat hält Plato selbst für ein nicht zu verwirklichendes
Ideal, denn in den Gesetzen sagt er von ihm, er eigne sich nur für Götter und Göttersöhne”); des-
halb entwirft er hier den ‚„zweitbesten‘‘ und „drittbesten‘ Staat, Entwürfe, die nach seiner Mei-
nung auch von Menschen ausgeführt werden können.
Ähnliche ideale Aufgaben wie Plato stellt Aristoteles seinem Staat; er geht bei
der Betrachtung des Staates schon vom Zweck desselben aus, wie der Einleitungssatz seiner Politik
zeigt und noch verschiedene Stellen des Werkes beweisen.8) ‚Die staatliche Gemeinschaft hat das
sittlich-schöne Handeln zum Zweck und nicht bloss das Zusammenleben.‘) Nach der ihm eigenen
hohen Meinung vom Wesen und Wirken des Staates schreibt er ihm allein die Macht zu, den Men-
schen über das Tier hinauszuheben. Nur im Staate kann der Mensch diese ethische Vollkommen-
heit erreichen, die, im Gegensatz zu Plato, nicht erst im Jenseits, sondern schon hier auf Erden ver-
wirklicht werden soll. Wer ausserhalb des Staates lebt, ist entweder ein Tier oder ein Gott, ohne
Staat ist der Mensch überhaupt nicht denkbar.!%) Daher auch der so paradox klingende Aristote-
lische Satz: Der Staat war früher da als der Mensch.) Der eigentliche Zweck des Staates liegt in
der Glückseligkeit der Staatsbürger, Glückseligkeit aber besteht in der ungehemmten Betätigung
der Tugend; diese in den Bürgern hervorzubringen ist die höchste Aufgabe des Staates.
4) Platon, S. 150 f.
6) Politeia II. 11.
®) Politeia IV. 1.
?) Gesetze, V. 10.
%) Vergl. Politik I. 2; III. 6; IIL 9.
®) Politik, IL. 9. — Vergl. Siebeck, Aristoteles. S.11l. Zeller, Die Philosophie der Griechen.
(3. Aufl.) S. 672 £f.
2) Ähnlich in neuererZeit Dah!mann, DiePolitik I. $.3: „..... man kann nioht Volk ohne Staat sein.‘*
1) Politik L 2,
Handbuch der Politik. II. Auflage. Band I. 4
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