Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

278 Th. Rehbock, Süddeutsche Schiffahrtspläne. 
Stelle Deutschlands, da nirgends sonst die beiden genannten Voraussetzungen für die Grossindustrie 
sich in gleich günstiger Weise vereinigt vorfinden. Denn die anderen grossen deutschen Kohlen- 
gebiete, das Saarbrückener und das sächsisch-schlesische liegen weiter vom Meer entfernt, und es 
fehlt ihnen eine so leistungsfähige Wasserstrasse, wie sie dem rheinisch-westfälischen Koblenbecken 
im Rhein zur Verfügung steht. Den Küstengebieten Deutschlands an der Nord- und Ostsee aber, die 
den Vorteil des unmittelbaren Seeverkehrs besitzen, und die durch die schiffbaren Ströme Ems, Weser, 
Elbe, Oder und Weichsel auch leistungsfähige Wasserverbindungen zum Binnenland haben, fehlt die 
eigene Kohle. Sie sind daher genötigt, diesen unentbehrlichen Brennstoff aus dem deutschen 
Binnenland oder aus dem Ausland, namentlich aus England, zu beziehen. Dieser Bezug, der 
auf dem Wasserweg erfolgen kann, ist allerdings billig und belastet die Industrie nicht allzusehr, 
sodass sich auch hier das Erwerbsleben, wenn auch nicht unter ganz so günstigen Verhältnissen, 
wie am Unterrhein, so doch im allgemeinen in befriedigender Weise entwickeln konnte. 
Am ungünstigsten liegen die Verhältnisse, sowohl was die Beschaffung billiger 
Kohlen, als auch was die Verbindungen mit dem Ausland anbelangt, in Süddeutschland. Grössere 
Kohlenlager fehlen, abgesehen von denen des Saarbrückener Beckens, das an der nordwestlichen 
Grenze Süddeutschlands liegt, gänzlich, sodass die erforderlichen Kohlen fast vollständig von 
auswärts bezogen werden müssen. Was die Deckung des Bedarfs an Energie in Süddeutschland 
anbelangt, so kann allerdings für die Zukunft damit gerechnet werden, dass ein erheblicher Teil 
aus zwei inländischen Quellen wird gedeckt werden können, die seither erst in bescheidenem Um- 
fang ausgenutzt worden sind, für deren Verwertung im grossen aber heute die Technik die Mittel 
bietet. Es sind dies zunächst die sowohl in Bayern als auch in Baden zur Verfügung stehenden 
bedeutenden Wasserkräfte, und sodann die Torflager, die sich in ausgedehnten Gebieten Bayerns 
finden. Namentlich in seinen Wasserkräften, die imstande sein werden, bei voller Ausnutzung im 
Jahresdurchschnitt schätzungsweise 10 000 Millionen Pferdekraftstunden zu liefern, besitzt Süd- 
deutschland einen wertvollen und der Erschöpfung nicht unterliegenden Ersatz für die fehlende 
Kohle. Diese Wasserkräfte dürften berufen sein, im Wirtschaftsleben Süddeutschlands noch eine 
wichtige Rolle zu spielen und diese Teile des Deutschen Reiches in mancher Beziehung für die Un- 
sunst der meerfernen Lage zu entschädigen. Denn die Teile Deutschlands südlich des Mains, die 
mit dem Namen Süddeutschland zusammengefasst werden und die Königreiche Bayern und 
Württemberg, die Grossherzogtümer Baden und Hessen sowie die Reichslande Elsass-Lothringen 
umfassen, sind weit von den Küsten des Meeres im Herzen des westlichen Europas fast in der gleichen 
Entfernung von den Gestaden der Nordsee, der Ostsee und des Mittelmeeres gelegen. Die Stadt 
Stuttgart, die eine zentrale Lage inmitten Süddeutschlands besitzt, liegt fast genau 500 km 
sowohl von den grossen Handelsbäfen der Nordsee, Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam, Bremen 
und Hamburg, als auch von den Mittelmeerhäfen Genua und Triest entfernt. 
Obschon für den südlichsten Teil Süddeutschlands demnach die Mittelmeerhäfen die nächsten 
Seehäfen sind, bildet doch fast ganz Süddeutschland das natürliche Hinterland der Nordseehäfen, 
da einerseits der Gebirgsstock der Alpen die Verbindung mit den Mittelmeerhäfen erschwert und 
verteuert, andererseits aber die billige Wasserstrasse des Rheins das Einflussgebiet der Nordsee- 
häfen erweitert. Bei den heute bestehenden Frachtsätzen liegen tatsächlich nur ganz kleine 
Teile Süddeutschlands im natürlichen Versorgungsgebiet des Mittelmeerhafens Triest, von dem 
aus nur einige Gegenden des deutschen Bodenseegebietes am billigsten mit überseeischen Waren 
— namentlich mit solchen, die vom östlichen Teil des Mittelmeers und durch den Suezkanal kommen 
—- versorgt werden können. Abgeschen von diesen engbegrenzten und wirtschaftlich noch nicht 
sehr stark entwickelten Gebieten ist ganz Süddeutschland dem Hinterland der Nordseehäfen zu- 
zurechnen und zwar fast vollständig demjenigen der ausländischen Nordseehäfen am Unterrhein, 
mit denen von den deutschen Seehäfen nur Hamburg über die Elbe in kleinen Teilen des nord- 
östlichen Bayerns in erfolgreichen Wettbewerb treten kann. Der überseeische Verkehr Süddeutsch- 
lands geht denn auch tatsächlich heute überwiegend über die Seehäfen am Niederrhein, nament- 
lich über Rotterdam, und benutzt dabei soweit als irgend möglich die Wasserstrasse des Rheines, 
die um ein Vielfaches billigere Frachtsätze als die Eisenbahnen bietet. Auch die Versorgung Süd- 
deutschlands mit Kohlen erfolgt hauptsächlich suf dem Rhein von den Ruhrhäfen aus.
	        
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