F. W. R. Zimmermann, Gerechtigkeit in der Steuerverteilung. 23
verhältnisse der Jetztzeit eine ausgebildetere und zersplittertere sein muss. Die Durchführung
der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung bedingt aber wiederum, dass die Einzelsteuern, aus
welchen sich die Mehrheit in der Gesamtbesteuerung zusammensetzt, nicht etwa ohne jede weitere
innere Berührung zusammenhangslos lediglich nebeneinander gestellt sind, sondern dass sie im
Hinblick auf das Ganze, das sie bilden sollen, eng ineinander gegliedert und in sich verbunden
werden, dass sie in einen festen inneren Zusammenhang gebracht sind und so ein systematisches
Ganzes ausmachen, in welchem sich die Gerechtigkeit der Steuerverteilung zu verwirklichen hat.
So werden wir es also stets mit enem Steuersystem zu tun haben, in welchem eine mehr
oder weniger grosse Anzahl von Einzelsteuern folgerichtig und zweckentsprechend behufs ge-
rechter Steuerverteilung zusammengefügt sein muss.
Vollkommen ausgeschlossen wirl es dabei erscheinen, ein sozusagen Normal-
steuersystem zu allgemeiner Annahme zu bilden, in welchem eine Reihe als vorzugsweise
berechtigt anerkannter Einzelsteuern unter sachgemässer Durchführung zum Ganzen ineinander-
gegliedert und gleichzeitig die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung für dieses Ganze voll zum Durch-
bruch gebracht wäre. Selbst bei mustergültigster Ausgestaltung würde ein solches Normalsteuer-
system sich für jede etwaige praktische Durchführung als unbrauchbar erweisen, denn die Besteue-
rung als solche ist zu eng einerseits mit den tatsächlichen Verhältnissen und andererseits der histo-
rischen Entwicklung des einzelnen Gebietes verknüpft, als dass sie irgendwie eine Schematisierung,
wie sie in dem Normalsystem liegen würde, vertragen könnte. Dementsprechend ist wiederum für
jedes Gebiet eines besonderen Steuersystems oder für den Gesamtüberblick einer Mehrheit von
Steuersystemen, unter welchen jedes einzelne seine Eigenart in verschiedenster \Veise bald mehr
bald weniger stark hervortreten lässt, Rechnung zu tragen.
Die praktische Lösung für unsere Frage wird dadurch zweifellos zu einer verwickelteren.
Eine ähnliche tatsächliche Erschwe: ung liegt bei uns des ferneren in den besonderen deut-
schen Verhältnissen, dass wir hier in formeller Unabhängigkeit von einander einer-
seits die Finanzhoheit des Reiches und andererseits die der einzelnen Bundesstaaten haben, welche
beide selbständig auf dem Gebiet der Besteuerung vorgehen und die Bevölkerung des Deutschen
Reichs mithin in doppelter Weise steuerlich belasten, wozu des weiteren dann noch die in ver-
schiedener Art mit Finanzhoheit ausgestatteten grösseren und kleineren öffentlichen Verbände in
den Bundesstaaten hinzutreten. Unter dieser Mehrheit der Steuergewalten muss naturgemäss
für die Gesamtbesteuerung der Deutschen Bevölkerung sich eine Gerechtigkeit in der Steuerver-
teilung um so schwieriger durchführen lassen.
5. Oberste Steuerprinzipien.
Diethbeoretische Grundlage für die Frage nach der Gerechtigkeit in der Steuer-
verteilung bilden die sog. obersten Steuerprinzipien, welche ihrem allgemeinen
Gehalt nach wohl ziemlich übereinstimmend anerkannt worden sind, obgle ich im einzelnen formell
manche Abweichungen bestehen. Wenn wir dieselben nachstehend gesondert darstellen, so
folgen wir dabei im wesentlichen der von Adolph Wagner angewandten Unterscheidung, die im
allgemeinen weitere Anerkennung gefunden hat. Vorweg sei noch bemerkt, dass von vornherein
hier und überhaupt bei Festlegung von Steuerprinzipien unter Steuer nur die formell und materiell
zu Recht bestehende Steuer verstanden sein kann; lediglich für eine solche wird man grundsätz-
lich die Gerechtigkeit in der Verteilung erörtern können. Die Gesetzmässigkeit der
Steuer, welc e für das materielle und das formelle Steuerrecht gegeben sein muss, führen wir
deshalb nicht mit unter den obersten Steuerprinzipien an; sie ist eine unumgängliche Vorbedingung
der Besteuerung, wie sie für uns in Frage kommt, und ist hier ohne weiteres in dem Begriff der
Steuer gegeben.
a) Finanzpolitische Prinzipien.
Die finanzpolitischen Prinzipien ergeben sich ausder Stellung, welche die
Steuern in der Finanzwirtschaft einnehmen, aus dem inneren finanziellen Zweck der Steuern,
welche zur Deckung des den öffentlichen Gemeinwesen durch die Erfüllung ihrer Verpflichtungen