Theobald Ziegler, Hochschulfragen im allgemeinen. 135
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artigen Lage und staatsrechtlichen Stellung der Fakultäten gerecht zu werden und den Kirchen-
feinden jeden Anlass zu kirchenpolitischer Agitation zu nehmen”. Da aber alle künftig zu weihenden
Priester den Eid zu leisten haben, so werden trotz dieses Dispenses über kurz oder lang sämtliche
Mitglieder der katholisch-theologischen Fakultäten den Antimodernisteneid geschworen und sich
verpflichtet haben, ‚alles und jedes für wahr anzunehmen, was von dem unfehlbaren Lehramt der
Kirche definiert, behauptet und erklärt worden ist, insbesondere jene Lehrpunkte, dıe den Irr-
tümern unserer Zeit direkt entgegengesetzt sind.“ So hat sich durch diese unglückselige Eides-
forderung ein Riss durch unsere Dozentenkollegien aufgetan oder ist durch sie erweitert und als
ein vorhandener aller Welt vor Augen geführt worden, ein Riss, angesichts dessen dıe Weıter-
existenz der katholisch-theologischen Fakultäten doch recht ernstlich in Frage gestellt ıst. Und
so war es nur konsequent, wenn Tübinger Professoren auf dem vierten deutschen Hochschullehrertag
den Antrag stellten, dass mit dem Eid belastete katholische Gelehrte von den Lehrstühlen deutscher
Hochschulen auszuschliessen seien, und wenn erklärt wurde, dass diejenigen Mitglieder akade-
mischer Lehrkörper, die den Antimodernisteneid geleistet haben, an einer deutschen Universität
nichts zu suchen haben, ‚weil sie damit verzichten auf unabhängige Erkenntnis der Wahrheit und
Betätigung ihrer wissenschaftlichen Überzeugung und so einen Anspruch auf die Ehrenstellung eines
unabhängigen Forschers verwirkt haben“. Aber auf der anderen Seite hat doch die Errichtung einer
katholisch-theologischen Fakultät in Strassburg unter dem Widerstand des elsässischen Klerus
gezeigt, dass diekatholischen Fakultäten eine nationale Bedeutung haben und es im Interesse unserer
nationalen Einheit und unserer einheitlichen deutschen Bildung und Kultur gelegen ist, dass die
künftigen katholischen Priester in ihrer Studienzeit in Berührung und Fühlung bleiben mit ıhren
weltlichen Kommilitonen und ihnen Gelegenheit gegeben wird, über ihre konfessionell-kirchlichen
Scheuklappen hinaus- und hineinzusehen in die Gebiete freier deutscher Forschung und freier
deutscher Wissenschaft. Von den Hoffnungen, die sich an jene Gründung geknüpft haben, sınd
freilich bei weitem nicht alle in Erfüllung gegangen, nicht einmal die Vorlesungen gutgläubiger
Historiker und Philosophen wurden von den Zöglingen des Strassburger Priesterseminars besucht;
und auch von Freiburg hat der badische Unterrichtsminister noch 1912 konstatiert, dass ‚‚die
Wechselbeziehungen zwischen Lehrern und Studierenden der katholisch-theologischen Fakultät
einerseits und der anderen Fakultäten andererseits bedauerlicherweise nicht mehr so lebhafte
seien wie früher“. Aber auch das Wenige, das hier erreicht wird, ist schon viel, und so können wır
wohl begreifen, dass die Regierungen von einer radikalen Exstirpation dieses Fremdkörpers aus
dem Leben unserer Universitäten wenigstens vorläufig noch nichts wissen wollen. Zwei Interessen
stehen sich hier gegenüber, die einen Ausgleich noch nicht gefunden haben, vielleicht überhaupt
nicht finden können.
Und um so weniger finden können, als auch auf anderen Gebieten eine solche reinliche
Scheidung und Lösung nicht vorgenommen ist. In weitem Abstand zwar von den katholischen sınd
doch auch die Dozenten der protestantisch-theologischen Fakultäten nicht ganz ‚„voraussetzungs-
los“ und frei. Das zeigen gelegentliche Konfliktsfälle, in denen eine Lösung dadurch herbeigeführt
zu werden pflegt, dass dem liberalen ein orthodoxer Vertreter der Dogmatik oder des Neuen Testa-
ments als sogenannter Strafprofessor zur Seite gestellt wird. Der eigentliche Konflikt liegt hier aber
überhaupt erst jenseits der .Universität, liegt darin, dass Geistliche für Anschauungen gemass-
regelt werden, die sie als Studenten von ihren Theologieprofessoren gehört und angenommen
haben.
Endlich beweisen Vorgänge der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiet der Nationalökonomie,
dass die Wissenschaft auch mit dem Staat in Konflikt kommen kann. Auch da hilft man sich wie im
Fall der protestantischen Theologen gelegentlich durch Ernennung von „Strafprofessoren“. Denn
eine prinzipielle Lösung gibt es auch hier nicht: an Stelle des Prinzips entscheidet als ultima ratio die
Macht, und diese ist auf Seiten des Staates, teilweise auch der Kirche, nicht auf Seiten der Wissenschaft.
Im allgemeinen aber muss und kann sich der Staat und ebenso auch die protestantische Kirche damit
begnügen, dem Forscher zweierlei ins Gewissen zu schieben: 1. dass er alles, was er zu sagen hat,
so sagt, dass es sich pädagogisch rechtfertigen lässt; und 2. wenn er gegen den Staat, der ihn ange-
stellt hat, oder gegen die Kirche, die ihm die Erziehung ihrer Diener anvertraut hat, grundstürzend