Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

erklären: Vorbereitende militärische Maßnahmen Rußlands müßten uns zu Gegen— 
maßregeln zwingen. Diese müßten in der Mobilisierung der Armee bestehen. Die 
Mobilisierung aber bedeute den Krieg. Wir könnten nicht annehmen, daß Ruß- 
land einen europäischen Krieg entfesseln wolle. Am nächsten Tage erklärte der 
russische Kriegsminister unserem Militärattaché, es sei noch keine Mobilmachungs- 
order ergangen, kein Pferd ausgehoben, kein Reservist eingezogen. Es würden 
lediglich vorbereitende Maßregeln getroffen. Wenn Osterreich-Ungarn die serbische 
Grenze überschreite, würden die auf Osterreich-Ungarn gerichteten Militärbezirke 
mobilisiert, unter keinen Umständen die an der deutschen Front liegenden. Jedoch 
ließen zuverlässige Nachrichten schon in den nächsten Tagen keinen Zweifel, daß 
auch an der deutschen Grenze die militärischen Vorbereitungen Rußlands in 
vollem Gange waren. Die Meldungen hierüber häuften sich. Trotzdem wurden 
noch am 29. von dem russischen Generalstabschef unserem Militärattaché erneut be- 
ruhigende Erklärungen gegeben, die die Mitteilungen des Kriegsministers als noch 
voll zu Recht bestehend bezeichneten. 
Am 29. Juli ging ein Telegramm des Zaren an den Kaiser ein, in welchem 
er die inständige Bitte aussprach, der Kaiser möge ihm in diesem so einsten 
Augenblick helfen. Er bitte ihn, um dem Unglück eines europäischen Krieges vor- 
zubeugen, alles ihm Mögliche zu tun, um den Bundesgenossen davon zurück- 
zuhalten, zu weit zu gehen. Am selben Tage erwiderte der Kaiser in einem 
längeren Telegramm, daß er die Aufgabe des Vermittlers auf den Appell an 
seine Freundschaft und Hilfe bereitwillig übernommen habe. Dementsprechend 
wurde sofort eine diplomatische Aktion in Wien eingeleitet. Während diese im 
Gange war, lief die offizielle Nachricht ein, daß Rußland gegen Osterreich-Ungarn 
mobil machte. Hierauf wies der Kaiser sofort den Zaren in einem weiteren 
Telegramm darauf hin, daß durch die russische Mobilisierung gegen Osterreich- 
Ungarn seine auf Bitten des Zaren übernommene Vermittlerrolle gefährdet, wenn 
nicht unmöglich gemacht würde. Trotzdem wurde die in Wien eingeleitete Aktion 
fortgesetzt, wobei von England gemachte, in ähnlicher Richtung sich bewegende 
Vorschläge von der deutschen Regierung warm unterstützt wurden. 
Über diese Vermittlungsvorschläge sollte heute in Wien die Entscheidung 
fallen. Noch bevor sie fiel, erhielt die deutsche Regierung die offizielle Nachricht, 
daß der Mobilmachungsbefehl für die gesamte russische Armee und Flotte er- 
gangen sei. Darauf richtete der Kaiser ein letztes Telegramm an den Zaren, indem 
er hervorhob, daß die Verantwortung für die Sicherheit des Reiches ihn zu 
defensiven Maßregeln zwinge. Er sei mit seinen Bemühungen um die Erhaltung 
des Weltfriedens bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen. Nicht er 
trage die Verantwortung für das Unheil, das jetzt der Welt drohe. Er habe die 
Freundschaft für den Zaren und das russische Reich stets treu gehalten. Der Friede 
Europas könne noch jetzt erhalten werden, wenn Rußland aufhöre, Deutschland 
und Osterreich-Ungarn zu bedrohen. 
Während also die deutsche Regierung auf Ersuchen Rußlands vermittelte, 
machte Rußland seine gesamten Streitkräfte mobil und bedrohte damit die Sicher- 
heit des Deutschen Reiches, von dem bis zu dieser Stunde noch keinerlei außer- 
gewöhnliche militärische Maßregeln ergriffen waren. 
So ist, nicht von Deutschland herbeigerufen, vielmehr wider den durch die 
Tat bewährten Willen Deutschlands, der Augenblic gekommen, der die Wehrmacht 
Deutschlands auf den Plan ruft.
	        
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