- 6 —
„Zentralinstanz“ für die Beschlüsse des Bundesrats u. s. w.
Nach seiner Ansicht muss „die Frage, ob ein Gesetz ver-
fassungsmässig zustandegekommen sei, sich derjenige, der
die Sanktion erteilt, beantworten, ehe er sanktioniert.“
Demgegenüber glaube ich mich auf die scharfsinnigen
Ausführungen Fleischmanns') berufen zu können, welcher,
nachdem er zuvor gleichfalls die Ansicht vertreten hat,
dass es im Wesen der Ausfertigung und der Sanktion
liege, dass erstere vor der letzteren erfolge, zu dem Ende
kommt, dass die umgekehrte Reihenfolge in der Reichs-
verfassung „durch die Zuweisung der Ausfertigung an ein
von den den Gesetzesinhalt feststellenden 'und den Ge-
setzesbefehl erteilenden Faktoren verschiedenes Organ
geboten war.“ Ferner geht aber meines Erachtens auch
daraus, dass von vielen sogar die Ansicht vertreten wird,
selbst ein ausgefertigtes und verkündetes Gesetz unterliege
hinsichtlich seiner Verfassungsmässigkeit einer Ueber-
prüfung durch die Gerichte — entweder schlechthin oder
unter gewissen Voraussetzungen — hervor, dass Seydel
wohl etwas zu feinfühlig bei der Verteidigung der
Autorität des Bundesrates bezw. der Bundesstaaten gegen-
über dem Kaiser gewesen ist. Im übrigen möchte ich
darauf hinweisen, dass die Seydelsche Auffassung dem
Wortlaute des Art. 17 geradezu Gewalt antut. Denn, wenn
auch der Ausdruck „dem Kaiser steht. . zu“ an dieser Stelle
zweifellos nicht lediglich eine Berechtigung des Kaisers
zur Ausfertigung und Verkündigung bezeichnen soll — ob-
wohl sprachlich dagegen nichts einzuwenden wäre —, so
kann er doch noch weniger eine ausschliessliche Ver-
pflichtung des Kaisers haben aussprechen wollen, vielmehr
dürfte der Ausdruck in dem aus dem Gerichtsverfassungs-
gesetze geläufigen Sinne einer Berechtigung und Ver-
pflichtung zur Vornahme der Ausfertigung und Ver-
kündigung aufzufassen sein. Korrespondiert aber mit einer
Verpflichtung eine Berechtigung, so kann vernünftiger
Weise von einer unbedingten Verpflichtung nicht die
Rede sein.
1) Fleischmann a. a. 0. 8. 72.