Full text: Die Stellung des deutschen Kaisers

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Ob nun der Kaiser zur Vornahme der Ausfertigung 
an eine bestimmte Frist gebunden ist, ist verschieden be- 
antwortet worden. Die einen schliessen: Da die Reichs- 
verfassung keine Frist bestimmt hat, bleibt es dem Kaiser 
unbenommen, die Ausfertigung beliebig lange hinauszu- 
schieben‘). Andere wollen dem Kaiser nur bis zum Be- 
ginn der neuen Legislaturperiode Frist geben, die Aus- 
fertigung der Gesetze vorzunehmen?). Während mir die 
letztere Ansicht durch nichts begründet erscheint?), kann 
ich der ersteren, weil sie den Umstand, dass in der Reichs- 
verfassung eine Frist nicht bestimmt ist, für sich hat, eine 
gewisse Berechtigung nicht absprechen. Dem Geiste der 
Bestimmung des Art. 17 und überhaupt der Reichsver- 
fassung dürfte aber auch diese Auffassung nicht entsprechen. 
Meines Erachtens ist der Kaiser zur Vornahme der Aus- 
fertigung dann verpflichtet, wenn sie bei einem der Dring- 
lichkeit der Sache entsprechenden, ordnungsmässigen Ge- 
schäftsgange möglich ist. Denn da es, wie gezeigt, nicht 
die Absicht der Reichsverfassung ist, dem Kaiser recht- 
lich eine ausschlaggebende Mitwirkung bei der Reichs- 
gesetzgebung zu gestatten, der Kaiser aber, wenn er die 
Ausfertigung verzögerte, tatsächlich auf die Gesetz- 
gebung insofern ausschlaggebend einwirken würde, als er 
ihr Resultat, das Gesetz, unpraktisch bleiben bezw. ver- 
spätet praktisch werden liesse, so würde er damit in einer 
1) So von Ruville a. a. O. S. 213. 
2) So G. Meyer, Staatsr. S. 508 u. a. 
3) Der Hinweis darauf, dass es deshalb unstatthaft wäre, ein 
Reichsgesetz erst in der neuen Legislaturperiode auszufertigen, weil 
der neue Reichstag vielleicht dem Gesetze seine Zustimmung nicht 
erteilt hätte bezw. nicht erteilen würde, erscheint mir hinfällig, weil 
ja auch ein und derselbe Reichstag im Laufe der Zeit seine Ansicht 
ändern kann. Wenn z.B. ein Gesetz bald nach Beginn der Legislatur- 
periode fertiggestellt ist, und der Kaiser gemäss der ihm von 
Meyer u. a. eingeräumten Befugnis erst am Ende des fünften Jahres 
der Periode zur Ausfertigung schreitet, so kann die nunmehr im 
Reichstage herrschende Meinung inzwischen eine ganz andere als 
damals geworden sein, sodass es ebenso wohl denkbar wäre, dass 
das nun ausgefertigte Gesetz den Intentionen desselben Reichstages 
geradezu widerspricht, wie es den Anschauungen eines neuen 
Reichstages entsprechen kann.
	        
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