Full text: Die Stellung des deutschen Kaisers

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älter als das Stellvertretungsgesetz, weil er auf der schon 
vor dem Erlass dieses Gesetzes verschiedenen Auslegung 
des Art. 15 R.-V. beruht. Während nämlich die einen 
die Ansicht vertreten, dass im 1. Absatz des genannten 
Artikels !) mit „Leitung der Geschäfte“ lediglich die Leitung 
der Geschäfte des Bundesrates gemeint sein könne, be- 
haupten die andern, Art. 15, 1 spreche von sämtlichen 
Geschäften der Reichsregierung, welche der Reichskanzler 
zu erledigen habe, der Reichskanzler könne sich also in 
jeder einzelnen Anıtshandlung, wie in allen seinen Ob- 
liegenheiten gleichzeitig vermöge schriftlicher Substitution 
vertreten lassen. Als nun $ 4 des Reichsgesetzes vom 
17. März 1878 besagte: „Die Bestimmung des Artikel 15 
R.-V. wird durch dieses Gesetz nicht berührt“, glaubten 
die Vertreter der erstgenannten Meinung‘), es habe damit 
gesagt werden sollen, abgesehen von den Fällen, in denen 
es sich um eine Vertretung in der Leitung des Bundes- 
rates und seiner Geschäfte handele, bedürfe es zur wirk- 
samen Bestellung eines Stellvertreters für den Reichs- 
kanzler einer kaiserlichen Anordnung ($ 1 des cit. Ges.). 
Die anderen dagegen’) zogen entsprechend ihrer Aus- 
legung des Artikels 15 Abs. 1 den Schluss, es sei nun- 
mehr eine doppelte Möglichkeit für die Einleitung einer 
Stellvertretung des Reichskanzlers gegeben, indem sowohl 
der Reichskanzler selbst, als auch der Kaiser auf Antrag 
des Reichskanzlers hierzu in der Lage seien. Nach dieser 
1) Art. 15: „Der Vorsitz im Bundesrate und die Leitung der 
Geschäfte steht dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu er- 
nennen ist. Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere Mitglied 
des Bundesrates vermöge schriftlicher Substitution vertreten lassen.“ 
2) U. a. Seydel, Kommentar S. 122. von Rönne, Staatsr. d. 
deutsch. R. 2. Aufl. I, S. 292. Laband a.a.0.I, S. 274, 276. Hierse- 
menzel a. a. O. S. 67. G. Meyer, Lehrbuch S. 403 f. und Grundzüge 
des nordd. Bundesrechts S. 81. Zorn a.a.0. I, S. 194. Riedel, Die 
Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871 etc. S. 42. Westerkamp, 
Ueber die R.-V. S. 99. Hauser, Die Verf. d. d. R. S. 73. von Pözl 
a. a. 0. V. Aufl., S. 618. Hänel, a. a. O. II, S. 34 £. 
3) Joel in Hirths Annalen 1878, S. 402—421. Hensel, eod. 1882, 
S. 8 ff., s. auch Stenogr. Ber. 1878, S, 343.
	        
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