Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

610 Baiern. Kammer der Abgeordneten 
meine Herren, es war damals die Zeit, wo selbst auf dieser linken Seite 
des Hauses das große Wort gelassen ausgesprochen werden konnte: „man 
muß dieses Preußen zertrümmern") und wo derselbe Redner von einem 
Manne sprach, „mit dessen Namen er seinen Mund nicht beschmutzen welle." 
Und dieser Mann war Graf Bismarck. Nebenbei bemerkt, mein Urtbeil 
über diesen Mann ist sich während der langen Dauer der Jahre gleichge- 
blieben und ich erlaube mir auch dasselbe hier vorzutragen. Ich hate 
diesen Staatsmann stets für einen verwegenen, aber glücklichen Spieler an- 
gesehen, es ist ihm ein Mal gelungen und ein halb Mal. Möge der Al- 
mächtige geben, daß es ihm bis zum Ende gelinge, ldenn Eines ist jetz 
bereits eingetreten, die Erfüllung des bekannten Lehnin'schen Verses: Er 
fiebit populus tristis temporihus istis. Allein es ist mir darum zu thun, 
Ihnen wenigstens eine blasse Idee zu geben von den Propositionen, die 
Preußen am 10. Juni 1866 zur Reorganisation des Deutschen Bundes 
gemacht hat. Ich glaube, es dürften diese merkwürdigen, über Alles merk- 
würdigen Propositionen aus dem Gedächtuisse der Menschen bereits ver- 
schwunden sein. Ich lese da einen Artikel, meine Herren: „Die Landmackt 
des Bundes wird in zwei Bundesarmeen eingetheilt, die Nordarmee und 
die Südarmee. Im Prieg und Frieden ist Seine Majestät der König ven 
Preußen Bundes-Oberfeldherr der Nordarmee, Se. Majestät der König von 
Baiern Bundes-Oberfeldherr der Südarmee.“ Ferner: „Für jedes der 
Bundesheere wird ein gemeinschaftliches mit der Natioualvertretung zu 
vereinbarendes Miliärbudget für die Feldarmee und das Festungswesen aus 
Matricularbeiträgen der zu den betreffenden Heeren ihre Truppen stellenden 
Regierungen gebildet.“" Endlich, meine Herren, der letzte Artikel, hören 
Sie ihn wohl! „Die Beziehungen des Bundes zu den Deutschen Landes- 
theilen des österreichischen Kaiserstaates werden nach erfolgter Vereinbarung 
über dieselben mit dem zunächst einzuberufenden Parlamente durch beson- 
dere Verträge geregelt werden!“ Meine Herren! Was ziehe ich daraus fin 
einen Schluß? Ich ziehe daraus nur einen einzigen Schluß. Ich sage 
näamlich: wenn Preußen damals eine Föderation auf der von Ihnen jetzt 
theilweise gehörten Grundlage vorgeschlagen hat, so mußte Preußen die 
Ueberzeugung haben, daß mit einer solchen Föderation dem „nationalen 
Geiste“ genügt, die „nationale Idee“ bestens erfüllt und ein dem Bedürf- 
nisse der Einigung entsprechendes Deutschland geschaffen würde. Warum 
damals so, meine Herren, und jetzt nicht mehr? Warum jetzt gerade das 
Gegentheil? Ich fahre fort, meine Herren, diese loyale Basis einer wirklich 
Deutschen Föderation hat Preußen selbst zerstört durch die Art und Weise, 
wie es seinen tranrigen Sieg von 1866 ausgebeutet hat. Indem Preußen 
sofort jede Rücksicht auf die bisherige erste Deutsche Großmacht und auf 
die vielen Millionen Deutschen in diesem Reiche bei Seite setzte, hat es 
konstatirt seine Verirrung in den Geist der falschen Nationalitätenpclitik, 
und indem Preußen vier oder fünf deutsche Gebiete gewaltsam unterjechte, 
indem Preußen die bekannten widerrechtlichen Aunerxioneu vornahm, bat
	        
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