Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Greil. 687 
Dieser Zug, meine Herren, der bei uns in Deutschland jetzt von Preußen 
rertreten ist, dieser Zug ist es, der nicht den germanischen Zuständen, sondern 
dem römischen Rechte entstammt; dieser Zug ist es, der unwillkürlich dahin 
führt, auch in unseren Staaten das noch Verschiedenartige zu zerreiben und 
so eine gemeinsame Masse zu machen, mit der man von oben herab thun 
kann, was man will. Das ist der Zug der Zeit und zugleich die Ausbildung 
eines Gewächses, das auf fremdem Boden gewachsen ist. Wir müssen ger- 
manisches Wesen dem entgegenstellen, Deutsches Wesen und diese Ausartung 
nicht zur vollen Reife gelangen lassen; denn, meine Herren, germanisches 
Besen ist etwas ganz Anderes, etwas geschichtlich total Verschiedenes, germa- 
nisches Wesen ist 1) Angehörigkeit an die Sippe, 2) übergenordnet Angehö- 
igkeit an den Stamm und 3) wieder übergeordnet Angehörigkeit an das 
Volk. Von unten auf hat sich bei den germanischen Völkern diese Zusammen- 
gehörigkeit entwickelt, nicht von oben herab, nicht durch Zerreibung, sondern 
durch organische Entwicklung. Dieses System, dieses Prinzip, das im ger- 
manischen Volkscharakter gelegen ist, hat sich bewährt und veredelt durch das 
ganze Mittelalter bis auf die neueste Zeit, und ich könnte es nur beklagen 
als Unglück für Deutschland, ja als den Vorabend des Untergangs jeder 
Deutschen Größe, wonn man diesem urdeutschen Zuge Hemmung geböte und 
nicht mehr die Mittel ließe, daß diesem Triebe auch in Zukunft Wachsthum 
zu Theil werden könnte. Aber, meine Herren, es kommt etwas Anderes, was 
dem baierischen Herzen besonders nahe liegen muß. Sie wissen, daß sich 
Graf Bismarck mit Vorliebe auf Friedrich den Rothbart bezieht, Sie wissen 
aber auch, was Friedrich der Rothbart für Baiern gethan hat. Allerdings 
für uns jetzt ist es eine Freude, was er gethan hat; denn er hat uns das 
Haus Wittelsbach nach Baiem gesetzt, aber er hat zuror einen baieri- 
schen Herzog abgesetzt. Und nun hat Bismarck schon vor einiger Zeit 
geäußert: das Norddeutsche Reich besitze Süddeutschland gegenüber eine größere 
Kraft, als je das Reich seit Nothbart besessen hat. Auf Rothbart bezieht sich 
also Biomarck gern. Wer steht denn dafür gut, daß nicht dasselbe ron dem 
Norddeutschen Kaiser aus geschehen könnte mit Baiern, was durch Friedrich 
den Rothbart geschehen ist, bevor das Haus Wittelsbach eingesetzt wurde? 
Ver bürgt dafür, daß nicht eines Tages der baierische KRönig vom Raiser 
des Reichs entsetzt wird? (Heiterkeit links.) Man lacht, nun ich will Sie 
vorläufig auf Etwas aufmerksam machen. Ich habe den Gedanken im Aus- 
schusse ausgesprochen und habe ihn begründet und gesagt, wenn die kgl. Staats- 
n#gierung nicht irgend welche Bürgschaften bieten könne aus den Verhand- 
lungen in Versailles, daß dies in Zukunft unmöglich sei, so muß zugestanden 
werden, daß es möglich sei — und das Staatsministerium hat keine 
Bürgschaft geboten. Nun auf was führt das? (Große Heiterkeit links.) 
In Art. 19 der Bundesrerfassung ist ausgesprochen, wie und wann die Exe- 
kution eintritt. In diesem Art. 19 hat in der ursprünglichen Fassung ein 
SEchlußsatz gestanden, welcher heißt: „Die Exekution kann bis zur Segquestra-
	        
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