Full text: Deutsches Kolonialblatt. V. Jahrgang, 1894. (5)

Ngoroine. Mit einem Proviant, der für drei Wochen 
berechnet war, hatte die Karawane von Umbugwe 
aus 66 Tage aushalten müssen; dies war nur 
dadurch möglich gewesen, daß die Leute haupt- 
sächlich von Wild gelebt hatten. Die Gesammt- 
jagdstrecke ergab 1. Nilpserd, 4 Nashörner, 1 Strauß, 
38 Zebras, 24 Gnus, 1 Kuhantilope, 19 Senegal- 
Antilopen, 1 Suara-Antilope, 9 Grant-Gazellen 
und 2 Thompson-Gazellen. Ngoroine, welches Bau- 
mann bereits besucht hat, wird von sehr freundlichen, 
gutmüthigen Leuten bewohnt, welche in geräumigen, 
runden Hütten leben. Die großen Dörfer sind von 
riesigen Kandelaber-Euphorbien allecartig durchzogen 
und eingeschlossen, so daß man von Weitem nur grüne 
Flecke und keine Hütten sieht. Die Bewohner sind 
eifrige Hanf= und Tabakraucher, leben in beständiger 
Angst vor den Wagaia, den nördlicher hausenden 
Wakavirondo, und zeichnen sich durch großen Schmut 
aus. Auch hier herrschte durch Heuschrecken hervor- 
gerusene Hungersnoth. Ueber zwei Ngoroinedörfer 
marschirte Neumann stromabwärts, überschritt dann 
den hier sehr kleinen Mara und gelangte nach 
Mukenje, dessen Bewohner die Ngoroine-Sprache 
haben und in Dörfern wohnen, welche auf Bergen 
liegen und von 2 Meter hohen, ½ Meter breiten 
Stein= oder Lehmmauern umgeben sind. Andere 
erheben sich auf schrossen Inseln des 6 bis 7 Meter 
tiesen steilen und fast trockenen Flußbektes. Hier 
gab es reichliches und billiges Essen. Am 3. Februar 
wurden die ersten Dörfer der gefürchteten Wagaia 
erreicht. Diese Wakavirondo sind prächtige Ge- 
stalten, roth, schwarz oder weiß angemalt, in reichem 
Kriegsschmuckvon Nilpferd= und Warzenschweinzähnen, 
oder mit Hahnen= oder Straußenfedern geziert. Ihre 
Speere haben ungefähr die Höhe unserer Ulanen- 
lanzen. Die aus Büffelhaut gefertigten und schwarz. 
weiß, roth bemalten Schilde sehen ungefähr aus wie 
Strandkörbe, sind etwa 1 bis 1¼ Meter hoch und 
seitlich zusammengelegt, so daß man einen darin 
kauernden Menschen überhaupt nicht sehen kann. 
Diese Leute empfingen Neumann freundlich und 
führten ihn in eines der sestungsartigen Dörfer. 
Hier, wohin weder Suaheli noch Europäer je gelangt 
sind, gehen Männer und Frauen, besonders die 
jüngeren, gonz nackt. Etwas Draht an Arm und 
Beinen, Perlenschnüre durch das Gesicht und ein 
Geschirr von Kaurimuscheln über die Brust, dazu 
hin und wieder ein Ziegen= oder Wildfell sind der 
beliebteste Schmuck der Männer. Die Frauen haben 
fast nur Perlschnüre oder einige Bastfäden um den 
Leib gewunden. In einigen nördlicher gelegenen 
Dörfern, welche schon von Karawanen besucht worden 
sind, finden sich Zeuge bei den Bewohnern. 
Am 5. Februar erreichte Neumann nach Ueber- 
schreitung eines kleinen Hügelkammes die Mori-Bai 
des Viktoria-Nyansa. Hier wie überall an der 
Küste des Sees, sogar in Kwa Kissero, dem Sul- 
tansdorse von Schirali, herrschte mehr oder weniger 
Nahrungsmangel, so daß nicht genügend Proviant 
423 
  
eingekauft werden konnte. So marschirte der Reisende 
weiter nach Norden bis Kadem an der Kavirondo- 
Bai. Dreitägige Verhandlungen mit dem Sultan 
führten zu keinem Ziel. Lebensmittel waren nicht 
zu erlangen, und die Bewohner zeigten sich frech und 
diebisch. Deshalb folgte Neumann einer Einladung 
der Sultanin von Mhugu, östlich von Kadem, welche 
drei ihrer Söhne ins Lager gesandt hatte. Bald 
nach dem Uebergang über die Kutscha oder Igutscha, 
welche in die Kavirondo-Bai mündet, verschwanden 
diese Führer in der Nacht, überall ertönten Hörner, 
bewaffnete Eingeborene umgaben mit drohenden 
Rufen die Karawane, und die Gegend erhielt einen 
sehr bedenklichen Anstrich. Durch einen Kisuaheli 
sprechenden Unyamwesi-Sklaven der Wakavirondo 
wurde er gewarnt, da die Leute von Kadem und 
Mhugu beschlossen hätten, Neumann in Pori 
zwischen beiden Orten zu überfallen. Die Feind- 
seligkeiten begannen sehr bald, die Kavirondo ver- 
langten Hongo (Durchgangszoll) von 10 Kühen und 
alle Ziegen und Schafe. Der Reisende verschaonzte 
sich in einem größeren von Euphorbienhecken umge- 
benen Dorf, welches bei seinem Herannahen von den 
Bewohnern verlassen war. Nach zahlreichen Schar- 
mützeln und endlosen Friedensverhandlungen wurde 
endlich am 19. Februar große Muma (Blutsbrüder= 
schaft) geschlossen. Es ergab sich, daß nicht allein 
die Wakavirondo und Wamhugu, sondern auch die 
Leute von Schirati, Guasso (Goschi) und Karungu 
sich zur Vernichtung der Karawane vereinigt hätten. 
Neumann verlor bei den Kämpfen einen Askari- 
Unteroffizier und einen Askari, welche bei einem 
Ueberfall niedergestoßen wurden. Die sogenannte 
Muma besteht unter vielen, jeder Beschreibung sich 
entziehenden Prozeduren darin, daß ein junger Hund 
entzweigeschlagen wird und die beiden Parteien sich 
die blutenden Theile gegenseitig zuwersen. Der 
Bruder des Sultaus von Kadem führte alsdann die 
Karawane selbst nach Mhugu; im Pori war er so 
freundlich, den Platz zu zeigen, an welchem die 
Expedition niedergemacht werden sollte. In Mhugn 
fand Neumann einen Frie des Herrn Lieutenants 
Meyer von der Antistlaverei-Gesellschaft, welcher 
zu Schiff im Mai 1893 dort gewesen war und in 
dem Schreiben dringend vor den Wamhugu warnt. 
Hinter Mhugu kreuzte der Reisende die 85er Route 
von Fischer und ging dann nordöstlich nach Kwa 
Niadoto, Kwa Buosch und Kwa Magambo; überall 
war die Bevölkerung feindselig, ohne daß es jedoch 
zu offenem Kampfe kam. Dann wandte er sich 
direkt östlich nach Kossowa, deren erstes Dorf Kwa 
Niamango am 1. März erreicht wurde. Kossowa ist 
sehr gebirgig und liegt 1500 Meter über dem 
Vikkoria-Nyansa. Unaufhörlicher Gewitterregen und 
der Umstand, daß die Pocken in den östlichen Theilen 
des Landes wütheten, veranlaßßte zum Einschlagen 
einer nördlichen Route bis Kwa Raischnonjo in 
Kavirondo dicht südlich der Ugowe-Bai. Ueber 
Kwa Katsch im Süden derselben Bai, welches aus
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.