Ngoroine. Mit einem Proviant, der für drei Wochen
berechnet war, hatte die Karawane von Umbugwe
aus 66 Tage aushalten müssen; dies war nur
dadurch möglich gewesen, daß die Leute haupt-
sächlich von Wild gelebt hatten. Die Gesammt-
jagdstrecke ergab 1. Nilpserd, 4 Nashörner, 1 Strauß,
38 Zebras, 24 Gnus, 1 Kuhantilope, 19 Senegal-
Antilopen, 1 Suara-Antilope, 9 Grant-Gazellen
und 2 Thompson-Gazellen. Ngoroine, welches Bau-
mann bereits besucht hat, wird von sehr freundlichen,
gutmüthigen Leuten bewohnt, welche in geräumigen,
runden Hütten leben. Die großen Dörfer sind von
riesigen Kandelaber-Euphorbien allecartig durchzogen
und eingeschlossen, so daß man von Weitem nur grüne
Flecke und keine Hütten sieht. Die Bewohner sind
eifrige Hanf= und Tabakraucher, leben in beständiger
Angst vor den Wagaia, den nördlicher hausenden
Wakavirondo, und zeichnen sich durch großen Schmut
aus. Auch hier herrschte durch Heuschrecken hervor-
gerusene Hungersnoth. Ueber zwei Ngoroinedörfer
marschirte Neumann stromabwärts, überschritt dann
den hier sehr kleinen Mara und gelangte nach
Mukenje, dessen Bewohner die Ngoroine-Sprache
haben und in Dörfern wohnen, welche auf Bergen
liegen und von 2 Meter hohen, ½ Meter breiten
Stein= oder Lehmmauern umgeben sind. Andere
erheben sich auf schrossen Inseln des 6 bis 7 Meter
tiesen steilen und fast trockenen Flußbektes. Hier
gab es reichliches und billiges Essen. Am 3. Februar
wurden die ersten Dörfer der gefürchteten Wagaia
erreicht. Diese Wakavirondo sind prächtige Ge-
stalten, roth, schwarz oder weiß angemalt, in reichem
Kriegsschmuckvon Nilpferd= und Warzenschweinzähnen,
oder mit Hahnen= oder Straußenfedern geziert. Ihre
Speere haben ungefähr die Höhe unserer Ulanen-
lanzen. Die aus Büffelhaut gefertigten und schwarz.
weiß, roth bemalten Schilde sehen ungefähr aus wie
Strandkörbe, sind etwa 1 bis 1¼ Meter hoch und
seitlich zusammengelegt, so daß man einen darin
kauernden Menschen überhaupt nicht sehen kann.
Diese Leute empfingen Neumann freundlich und
führten ihn in eines der sestungsartigen Dörfer.
Hier, wohin weder Suaheli noch Europäer je gelangt
sind, gehen Männer und Frauen, besonders die
jüngeren, gonz nackt. Etwas Draht an Arm und
Beinen, Perlenschnüre durch das Gesicht und ein
Geschirr von Kaurimuscheln über die Brust, dazu
hin und wieder ein Ziegen= oder Wildfell sind der
beliebteste Schmuck der Männer. Die Frauen haben
fast nur Perlschnüre oder einige Bastfäden um den
Leib gewunden. In einigen nördlicher gelegenen
Dörfern, welche schon von Karawanen besucht worden
sind, finden sich Zeuge bei den Bewohnern.
Am 5. Februar erreichte Neumann nach Ueber-
schreitung eines kleinen Hügelkammes die Mori-Bai
des Viktoria-Nyansa. Hier wie überall an der
Küste des Sees, sogar in Kwa Kissero, dem Sul-
tansdorse von Schirali, herrschte mehr oder weniger
Nahrungsmangel, so daß nicht genügend Proviant
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eingekauft werden konnte. So marschirte der Reisende
weiter nach Norden bis Kadem an der Kavirondo-
Bai. Dreitägige Verhandlungen mit dem Sultan
führten zu keinem Ziel. Lebensmittel waren nicht
zu erlangen, und die Bewohner zeigten sich frech und
diebisch. Deshalb folgte Neumann einer Einladung
der Sultanin von Mhugu, östlich von Kadem, welche
drei ihrer Söhne ins Lager gesandt hatte. Bald
nach dem Uebergang über die Kutscha oder Igutscha,
welche in die Kavirondo-Bai mündet, verschwanden
diese Führer in der Nacht, überall ertönten Hörner,
bewaffnete Eingeborene umgaben mit drohenden
Rufen die Karawane, und die Gegend erhielt einen
sehr bedenklichen Anstrich. Durch einen Kisuaheli
sprechenden Unyamwesi-Sklaven der Wakavirondo
wurde er gewarnt, da die Leute von Kadem und
Mhugu beschlossen hätten, Neumann in Pori
zwischen beiden Orten zu überfallen. Die Feind-
seligkeiten begannen sehr bald, die Kavirondo ver-
langten Hongo (Durchgangszoll) von 10 Kühen und
alle Ziegen und Schafe. Der Reisende verschaonzte
sich in einem größeren von Euphorbienhecken umge-
benen Dorf, welches bei seinem Herannahen von den
Bewohnern verlassen war. Nach zahlreichen Schar-
mützeln und endlosen Friedensverhandlungen wurde
endlich am 19. Februar große Muma (Blutsbrüder=
schaft) geschlossen. Es ergab sich, daß nicht allein
die Wakavirondo und Wamhugu, sondern auch die
Leute von Schirati, Guasso (Goschi) und Karungu
sich zur Vernichtung der Karawane vereinigt hätten.
Neumann verlor bei den Kämpfen einen Askari-
Unteroffizier und einen Askari, welche bei einem
Ueberfall niedergestoßen wurden. Die sogenannte
Muma besteht unter vielen, jeder Beschreibung sich
entziehenden Prozeduren darin, daß ein junger Hund
entzweigeschlagen wird und die beiden Parteien sich
die blutenden Theile gegenseitig zuwersen. Der
Bruder des Sultaus von Kadem führte alsdann die
Karawane selbst nach Mhugu; im Pori war er so
freundlich, den Platz zu zeigen, an welchem die
Expedition niedergemacht werden sollte. In Mhugn
fand Neumann einen Frie des Herrn Lieutenants
Meyer von der Antistlaverei-Gesellschaft, welcher
zu Schiff im Mai 1893 dort gewesen war und in
dem Schreiben dringend vor den Wamhugu warnt.
Hinter Mhugu kreuzte der Reisende die 85er Route
von Fischer und ging dann nordöstlich nach Kwa
Niadoto, Kwa Buosch und Kwa Magambo; überall
war die Bevölkerung feindselig, ohne daß es jedoch
zu offenem Kampfe kam. Dann wandte er sich
direkt östlich nach Kossowa, deren erstes Dorf Kwa
Niamango am 1. März erreicht wurde. Kossowa ist
sehr gebirgig und liegt 1500 Meter über dem
Vikkoria-Nyansa. Unaufhörlicher Gewitterregen und
der Umstand, daß die Pocken in den östlichen Theilen
des Landes wütheten, veranlaßßte zum Einschlagen
einer nördlichen Route bis Kwa Raischnonjo in
Kavirondo dicht südlich der Ugowe-Bai. Ueber
Kwa Katsch im Süden derselben Bai, welches aus