Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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Bedürsnisse auf den Export von Rohprodukten an- 
gewiesen waren. Die Vereinigten Staaten, wenn 
sie auch heute noch ein sehr wertvolles Absatzgebiet 
für die deutsche Industrie sind, haben doch nach 
dieser Richtlung hin relativ verloren, während sie 
durch die Entwicklung ihrer natürlichen Hilfs- 
quellen, durch ihre Kohlen-, Eisen--, Baumwoll- und 
Kupferproduktion, durch ihren Petrolcumreichtum 
und durch ihre ungewöhnlichen und sinnreichen Me- 
thoden der Produktion und der Fabrikation einen 
viel größeren Einfluß erlangt haben wie früher. 
Nordamerika nimmt heute in der Kohlensörde- 
rung den ersten Platz ein und hat England und 
Dentschland überflügelt. Englands Anteil an der 
Stahlproduktion der Welt war in den 70er Jahren 
33% 1902 noch 13%%. Der Anteil der Vereinigten 
Staaten war damals 26%, 1902 = 4190. Vier- 
undneunzig Prozent der Nahrungsmittelproduktion 
der Vereinigten Staaten werden heute im Lande 
konsumiert, und wenn auch nicht in gleicher Höhe, 
doch mit einer stelig steigenden Tendenz werden die 
Naturschätze im Lande selber verarbeitet, und dies 
geht vor sich mit dem jener Nation eigenen Ziel- 
bewußtsein und mit der Tendenz, welche der Schutz- 
zoll — ursprünglich eingeführt für „Infant-Indu- 
stries“ — bei diesem in sich geschlossenen Wirt- 
schaftsgebiet aufs deutlichste zum Ausdruck bringt. 
Aber damit ist man keineswegs zufrieden. Das 
politische Glaubensbekenntnis, welches man die 
Monrvedoktrin nennt, äußert sich jetzt in erster 
Linie wirtschaftlich, und der Einfluß der Vereinig- 
ten Slaaten in den lateinischen Ländern des ame- 
rikanischen Kontinents macht außerordentliche Fort. 
schritte. Es wird dieser Erscheinung in Deutsch- 
land meines Erachtens eine viel zu geringe Auf- 
merksamkeit geschenkt. Panamerikanische Kon- 
gresse werden gehalten, panamerikanische Bahnen 
werden gebaut. Handelsverträge mit Vorzugs- 
zöllen werden angestrebt und den Verhandlungen 
mit Brasilien werden wohl bald solche mit anderen 
südamerikanischen Staaten folgen. Die spanischen 
Besitzungen sind in die Hände der Union über- 
gegangen. Der merkantile Einfluß der Vereinigten 
Staaten in Mexiko nimmt von Jahr zu Jahr zu, 
wie ich mich selbst habe überzeugen können. Große 
Minenunternehmungen in den pazifischen Staaten 
Südamerikas, wie in Pern, sind in den Händen der 
Nordamerikaner. Die Bahnen in Guatemala und 
in Bolivien, in Mexiko, in Dukatan, in Honduras 
werden von Amerikanern gebaut. Licht- und Elek- 
trizilätswerke in Brasilien sind aus deutschen Hän- 
den in amerikanische übergegangen. Die Schiffahrt 
zwischen Häfen des amerikanischen Nordens und 
Südens hat sich ungemein verdichtet und wird sich 
nach dem Ausbau des Panama-Kanals noch weit 
mehr verdichten, und alle diese Unternehmungen 
tragen jenen exklusiven Charakter, der das charak- 
leristische Zeichen der amerikanischen Wirtschafts- 
  
entwicklung ist. Es ist daher nicht zu bezweifeln, 
daß der amerikanische wirtschaftliche Einfluß in dem 
ganzen amerikanischen Kontinent zum Schaden 
Europas von Jahr zu Jahr steigen wird, und wenn 
diese Erscheinung noch bisher nicht fühlbar gewor- 
den ist, so liegt das nur daran, daß Süd- und 
Mittelamerika selbst in einer großen Entwicklung 
sind und infolgedessen ihre Importbedürfnisse 
anßerordentlich gesteigert haben. Das ganze Vor- 
gehen Nordamerikas ist ein großzügiges, zielbewust- 
les und erfolgreiches. Etwas Ahnliches, wenn auch 
nicht ganz so Prägnantes, vollzieht sich im äußer- 
sten Osten, wo die Entwicklung der japanischen In- 
dustrie mit Hilfe der außerordentlich billigen 
Arbeitskräfte des Landes und der großen Intelli- 
genz, die dorten entwickelt wird, manche Artikel 
europäischer Mannfaktur bereits stark zu ver- 
drängen beginnt. 
In Japan ist nach dem „finanziellen und wirt- 
schaftlichen Jahrbuch für Japan“ die Zahl der 
Spinnereien von 40 auf 70 von 1893 bis 1903 ge- 
stiegen und die Zahl der Spindeln gleichzeitig von 
381 000 auf 1,2 Millionen. Die Gesamteinfuhr 
Deutschlands in China betrug im Vorjahre nur 
53 Millionen Mark bei einer Gesamteinfuhr 
Chinas von 1045 Millionen Mark. Baumwoll- 
fabrikate wurden im ganzen aus Deutschland für 
1,7 Millionen eingeführt, während die Gesamtein- 
fuhr Chinas an Baumwollwaren 365 Millionen 
Mark beirug. Japan und die Vereinigten Staaten 
sind uns anscheinend in Ostasien durch Frachtver- 
hältnisse und durch die Eigenproduktion von Baum- 
wolle überlegen. Unser Handel mit diesem Lande 
seit 1895 weist nicht absolut, aber gegenüber der all- 
gemeinen Steigerung des Wertes des chinesischen 
Handels und der Beleiligung anderer Völker an 
diesem Handelsverkehr einen Rückgang auf. Der 
Anteil Deutschlands war 1895 6,2%, 1904 5,7/. 
Die Einfuhr der Vereinigten Staaten in China ist 
während derselben Zeit auf das 6 fache, die Japans 
auf das 5 fache gestiegen. Japan selbst sucht durch 
Entwicklung seiner Industrie wirtschaftlich unab- 
hängiger zu werden. 
Ich verweise auf die Vorgänge in Kanada und 
Australien. Daß auch im englischen Kolonialreich 
ähnliche Bestrebungen sich geltend gemacht haben, 
ist wohl noch in aller Gedächtnis. Wenn diese Tal- 
sachen richtig sind, und ich glaube, daß mir jeder in 
dieser Versammlung zustimmen wird, daß sie es 
sind, so müssen wir uns ernsthaft fragen, wie wird 
eine Fortdauer der Sitnation unseren deutschen 
Handel und unsere deutsche Industrie beeinflussen, 
wie steht es mit unserem Rohstoffbezug, wie sieht 
es mit unserem Absatz, wie fteht es mit unserer 
Zahlungsbilanz, wie steht es mit unseren Mitteln, 
handelspolitische Abmachungen mit anderen Län“ 
dern zu regeln. 5 
Auch für unseren Rohstoffbezug haben diese
	        
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