Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

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oder wenige Abschlüsse gewälzt wird. Man kann 
sich denken, wie dadurch der Verkaufspreis der 
Ware emporgetrieben wird. So beträgt z. B. in 
Par# die Staatsstener 300 Milreis in Gold plus 
2½ v. H. Zuschlagsteuer, zusammen 523 Papier- 
Milreis,) außerdem die Munizipalsteuer 1000 Popier- 
Milreis und 150 Papier-Mitreis Zuschlag für 
Bettlerasyle, dazu 15 Milreis für Ausstellung der 
Lizenz. Diese Steuer soll jeder Vertreter einer 
Firma zohlen, auch wenn deren mehrere zu gleicher 
Beit in der Stadt tätig sind. 
Außerdem werden noch eine Unzahl anderer 
Steuern exhoben, etwa von den Kommunen ein 
Eingangszoll auf verschiedene Lebensmittel und Ab- 
gaben der verschiedensten, oft sonderbarsten Art. 
So z. B. wird den Markt= und Straßenhändlern 
in Belem-Par4 der Verkauf ihrer Ware nur auf 
bestimmten Tischen gestattet; diese Tische werden 
zu hohen Preisen von einem Konzessionär vermietet. 
Von diesem zieht die Stadtverwaltung ihren 
Tribut ein. 
Staatliche und lommunale Einrichtungen, die 
der Volksbildung oder der wirtschaftlichen Entwick- 
lung dienen, sind in den Nordstaaten nur sehr wenig 
vorhanden; in den Südstaaten ist es hauptsächlich 
der Staat Sio Paulo, wo solche Einrichtungen zu 
finden sind. Gerade in einem Lande, das vorzugs- 
weise auf die Bodenerträgnisse angewiesen ist, sollte 
man Einrichtungen erwarten, die zur Hebung der 
Bodenkultur beitragen. Im ganzen Norden ist aber 
für diesen Zweck nur in Belem-Pars ein botanischer 
Garten vorhanden, in dem zugleich meteorologische 
Beobachtungen und erst in neuester Zeit auch 
Pflanzungsversuche gemacht werden. In den Staaten 
Amazonas, Cearä, Maranhso usw. ist nichts der- 
gleichen anzutreffen. Erst viel weiter südlich, im 
Staate Bahia, befinden sich in Sio Bentos das 
Lagos eine Landwirtschaftsschule sowie zwei Ver- 
suchsstationen: Joazeiro, hauptsächlich für Weinbau, 
und Catu für Viehzucht. Diese noch unter dem 
Kaiserreich geschaffene Einrichtung war jahrelang 
vollständig vernachlässigt; erst in letzter Zeit sind 
von der Bundesregierung wieder Mittel bewilligt 
worden, um sie ihrer eigentlichen Bestimmung, der 
Hebung der Landwirtschaft und der Landeskulturen, 
dienstbar zu machen. 
Am weitesten auf diesem Gebiete vorgeschritten 
ist jedenfalls der Staat Säo Paulo. Dort befinden 
sich mehrere Institute, die außerordentlich günstig 
wirken und bereits viel für die Hebung des Acker- 
und Plantagenbaues getan haben. Es sind dies 
vor allem das agronomische Institut in Campinas, 
die landwirtschaftliche Schule Pircicoba, der Horto 
Botanico in Söo Paulo und die tropische Versuchs- 
station in Cabatäo. Im Staat Sao Paulo werden 
auch umfangreiche Statistiken über den Fortschritt 
*) 1000 Reis = 1 Milreis Papier = 1,30.NX. Im 
Verkehr wird meist nur mit Papiermilreis gerechnet. 
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und die Erfolge der Landeskulturen aufgenommen 
und in Form von Denkschriften veröffentlicht. Sicher 
ist, daß sich Säo Paulo vor allen anderen von mir 
besuchten Staaten auszeichnet. 
Auch auf dem Gebiete der allgemeinen Bildungs- 
anstalten, der Schulen und höheren Lehranstalten, 
sind die Nordstaaten gegenüber den Südstaaten weit 
im Rückstande. Die Lehrkräfte in leitender Stellung 
und die Vorsteher der Institute sind meist Aus- 
länder; soweit diese Stellungen und Lehrämter 
durch Brasilianer besetzt sind, ist die Leistung nicht 
auf gleicher Höhe; dies wurde mir an verschiedenen 
Beispielen von sachverständiger Seite nachgewiesen. 
Eisenbahnen sind in den Nordstaaten gleichfalls 
weniger vorhanden als in den Südstaaten. Und 
wenn auch in einzelnen Nordstaaten, wie Parä und 
Amazonas, der Verkehr hauptsächlich auf den Wasser- 
wegen stattfindet, so gibt es doch auch dort viele 
Bezirke, die durch Eisenbahnen in ihrer Entwicklung 
gefördert werden könnten. Die einzige Eisenbahn 
im ganzen Amazonas-Gebiet ist zur Zeit die kurze 
Strecke zwischen Belem-Parä und Braganza. Weiter 
südlich existiert erst im Staate Cearä wieder eine 
Eisenbahnlinie, die von Fortaleza ins Gebirge bis 
Humayta führt, und eine kürzere von dem kleineren 
Hafen Camocim nach Sobral. Mehr nach Süden 
zu vermehren sich dann die Eisenbahnlinien und 
bilden im Staate Rio de Janeiro und Sao Paulo 
ein verhältnismäßig großes Netz. Die Fahrgelegen- 
heiten auf diesen Eisenbahnen sind sehr spärlich, 
besonders im Norden; vielfach verkehren nur ein 
bis dreimal wöchentlich Züge. Der Grund, warum 
sich kein größeres Bedürfnis für vermehrte Ver- 
bindungen geltend macht, dürfte in den außer- 
ordentlich hohen Frachtraten und in den Personen- 
tarifen zu suchen sein. 
Viele Produkte, z. B. Holz, können gar nicht 
an die Küste und damit nicht an den Weltmarkt 
gebracht werden, weil die Transportkosten den Wert 
der Produkte übersteigen würden. Teilweise sind 
die Frachtraten so hoch, daß gelegentlicher Trans- 
port der Waren auf Eseln sich billiger stellt als 
der Bahntransport. Sicher sind in den Bezirken, 
welche die Bahn passiert, nebst dem Hinterlande 
viele Produkte vorhanden, die mit Nutzen an den 
Weltmarkt gebracht werden könnten. Man hört den 
Brasilianer immer den Reichtum seines Landes 
rühmen, aber dessen Produkte sind so lange dem 
Wohlstand der Bevölkerung nicht zuzurechnen, als 
es nicht möglich ist, sie dem Weltmarkt zuzuführen. 
Unter den jetzigen Verhältnissen, wo durch hohe 
Zölle usw. die Lebenshaltung des Arbeiters über- 
mäßig verteuert ist, wo die Transportgelegenheiten 
weiter verteuernd wirken, ist die Umsetzung der vor- 
handenen Landesprodukte in Geld meist nicht möglich. 
Wenn man unter den bestehenden Zuständen selbst 
Produkte von nicht unerheblichem Wert dem Welt- 
markte zuführen wollte, so würden die Ausgaben 
hierfür oft größer sein als der erzielte Erlös. Die
	        
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