Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXII. Jahrgang, 1911. (22)

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lll nichtamtlicher Teil —5| 
Die Rolonialpolitik 
bei der ersten Beratung des Etats für 1911. 
Reden, gehalten von Sr. Exzellenz dem Staatssekretär des Reichs-Kolonialamts, Herrn Dr. v. Lindequist- 
in den Sitzungen des Reichstages vom 12. und 13. Dezember 1910. 
J. 
Rede vom 12. Dezember 1910. 
Da ich zum ersten Male die Ehre habe, den 
Etat des Reichs-Kolonialamts und der Schutz- 
gebiete, über die, soweit der Etat in Frage kommt, 
schon verschiedentlich in freundlichem Sinne Auße- 
rungen hier von dem Herrn Vorredner getan 
sind, hier zu vertreten, so sei mir gestattet, auch 
meinerseits einige Bemerkungen zu machen über 
den derzeitigen Stand der finanziellen 
und wirtschaftlichen Entwicklung unserer 
Schutzgebiete. Es ist nach meiner Meinung 
notwendig, daß ich etwas weiter aushole und 
mich etwas allgemeiner halte, nachdem der Herr 
Abgeordnete Lattmann eben ziemlich harte Worte 
über meinen Vorgänger gesprochen hat. 
Wenn das gegenwärtige Entwicklungsstadium 
unserer Kolonien kurz zusammengefaßt werden soll, 
so könnte man es nach meiner Meinung am besten 
mit den Worten tun: „Es geht vorwärts“. 
Es geht aber nicht nur hier und da und spo- 
radisch voran, sondern es geht auf allen Gebieten 
und in allen Kolonien und stetig voran, mit 
alleiniger Ausnahme vielleicht insofern, als von 
Südwestafrika die Entwicklung zunächst infolge 
des Aufstandes und später infolge der Diamant- 
funde eine etwas sprunghafte war. Trotzdem 
haben wir gerade infolge dieser Diamantfunde 
die erfreuliche Erscheinung, daß dieses Schutzgebiet 
augenblicklich, was die eigenen Einnahmen des 
Schutzgebiets betrifft, an der Spitze unserer Kolonien 
marschiert. 
Wenn ich die Hoffnung hege, daß das Auf- 
streben und Vorwärtsdrängen in unserer kolonialen 
Entwicklung kein vorübergehendes, sondern ein 
andauerndes ist, so finde ich die Begründung 
dafür nicht allein in den Zuständen draußen, 
sondern ebensosehr in dem lebhaften Interesse, 
welches das deutsche Volk neuerdings unserer 
Kolonialpolitik entgegenbringt, und in der freund- 
lichen Stellung zu unserem überseeischen Neu- 
deutschland. Man wird heute ohne Übertreibung 
sagen können, daß die überwiegende Mehrheit 
des deutschen Volkes davon durchdrungen ist, daß 
wir Kolonien haben müssen, und daß kein ernst- 
hafter Politiker mehr daran denkt, sie aufzugeben. 
  
Die koloniale Lauheit, die noch vor wenigen 
Jahren so ausgeprägt war, ist Gott sei Dank 
dahin und, wie ich nicht zweifle, ein für allemal 
verschwunden. Es hieße die Situation meines 
Erachtens verkennen, wenn man etwa die Kritik, 
die ich an und für sich nur freudig begrüßen 
kaun, und die sich hier und da vielleicht etwas 
scharf äußert, als Kolonialmüdigkeit ansehen wollte. 
Ich betrachte sie vielmehr, wenigstens soweit sie 
sachlich und objektiv bleibt, als ein erfreuliches 
Symptom für das immer stärker werdende Inter- 
esse an kolonialen Dingen. 
Wenn in dieser Beziehung in den letzten 
Jahren ein so gründlicher Umschwung eingetreten 
ist, wie wir ihn vor kurzer Zeit kaum noch für 
möglich gehalten hätten, so ist dies meines Er- 
achtens ganz zweifellos in erster Linie neben 
anderen günstigen Umständen dem ersten Staats- 
sekretär des Reichs-Kolonialamts zuzuschreiben, 
der es verstanden hat, gründlich mit dem Märchen 
anfzuräumen, daß unsere Kolonien nichts wert 
seien, und daß das deutsche Volk an ihnen keine 
Freude erleben werde, daß sie dem deutschen 
Volke keinen dauernden Nutzen bereiten würden. 
Ich glaube, diese Verdienste des ersten Staats- 
sekretärs, meines Vorgängers, sind so groß und 
dauernd, daß dagegen selbst das, was andere an 
seinen Taten vielleicht anders beurteilen, und wo 
sie mit ihm nicht übereinstimmen, doch in den 
Hintergrund treten sollte. Ich möchte Sie in 
dieser Beziehung — ich werde darauf nachher 
noch näher zurückkommen — nur an das groß- 
zügige und großartige Bahnbauprogramm er- 
innern, und ich möchte Sie auch daran erinnern, 
wie es ihm gelungen ist, auch das Kapital immer 
mehr für die Kolonien heranzuziehen. 
Wir wissen heute mit positiver Bestimmtheit, 
daß wir mit unseren Überseeischen Besitzungen 
wertvolle und von Jahr zu Jahr aufnahme- 
fähigere Absatzmärkte für unsere deutsche Volks- 
wirtschaft, für unseren deutschen Handel haben, 
und daß wir in ihnen zugleich verheißungsvolle 
Quellen für den Bezug unserer Rohmaterialien 
besitzen. Wer könnte heute angesichts der Baum- 
wollnot, welche immer mehr kritisch wird, wer 
könnte angesichts des Wollbedarfs, der immer 
weiter zunimmt und die Preise steigert, noch im
	        
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