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Es finden sich also so ziemlich alle Kulturstufen
und Grade sozialer Entwicklung unter den Farbigen
der drei Kolonien: dem nackten Kannibalen steht der
in England erzogene Rechtsanwalt, in dessen Vor-
immer Europäer stundenlang warten, der primitivsten
Familiensiedlung das hochentwickelte mohammedani-
sche Staatswesen mit seinem weitverzweigten Verwal-
tungsapparat gegenüber. Zwischen ihnen liegen die
Zwischenstufen höherer Negerkultur und europäischer
Halbkultur, der Dorf= und Stammesgemeinschaften und
der antokratisch regierten Negerreiche: wahrlich, ein
nicht gauz einfaches Feld für koloniale Betätigung.
II.
Allgemeine Grundsätze der englischen Kolonial= und
Eingeborenen-Politik.
Oberstes Leitmotiv in der englischen Kolonial=
politik ist die Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen
Verhältnisse. Dem englischen Recht ist der Schema-
tismus, der um den Preis der Einförmigkeit die ver-
schiedenartigsten Gebiete unter dieselbe Norm zu zwin-
gen sucht, fremd. Die weitgehende Dezentralisation
innerhalb des großen britischen Kolonialreichs, die
auch das Schwergewicht des Gesetzgebungswerkes von
der Zentrale fort in die Kolonien verlegie, erleichterte
die Anwendung dieses Grundsatzes. Weitgehende
Mannigfaltigkeit innerhalb des geschaffenen Rechts
und eine gewisse Unübersichtlichkeit für den Außen-=
sichenden, aber auch weitgehendste Anpassung an die
erhältnisse der einzelnen Besitzung war die Folge.
Immerhin lassen sich auch im englischen Kolonial-
recht schlechthin und somit auch für das Recht der
Goldküste und der beiden Nigerien, gewisse allgemein
gültige Normen erkennen: 6
Da ist zunächst ein fundamentaler Unterschied
zum deutschen Recht: das englische Recht kennt ähnlich
wie das französische nicht den Grundsatz der besonde-
ren Behandlung der Angehörigen der weißen und der
farbigen Rasse, wenigstens nicht in der Theoric. Nach
englischem Recht sindet vielmehr für alle Bewohner
einer Kolonie das gleiche Recht und somit das für die
Europäer geltende Recht grundsätzlich auch auf Farbige
Anwendung. Ausnahmen müssen gesetzlich festgelegt
sein. Dem entspricht auch, daß für die Mulatten als
solche Sonderbestimmungen nicht bestehen und daß
anch für die Behandlung der Syrer rassenpolitische Er-
wägungen nicht in Betracht kommen. Die Syrer sind
im übrigen in den englischen Kolonien noch nicht, wie
teilweise in den französischen, zu einer wirtschaftlichen
Gefahr geworden. Lediglich aus sanitären Rücksichten
ersordern sie eine besondere Uberwachung.
Die sich aus dem allgemeinen Prinzip der An-
wendung gleichen Rechts auf sämtliche Einwohner ohne
Unterschied der Rasse oder Abstammung notwendiger-
weise ergebenden Schwierigkeiten werden in der Praxis
von vornherein dadurch gemildert, daß man für die
Art der staatsrechtlichen Angliederung eines neuen
Gebietes an das britische Reich, einer Einverleibung
in die .King's Dominiens“ je nach dessen Kulturstufe
entweder die Form der „Colony'“ oder die des
„ Protectorate“ wählt, während in der Praris sich
die Verwaltungstätigkeit in den Protektoraten nicht
viel von der in der „Colony“ unterscheidet. Wird
ein Gebiet zur Colonxy erklärt, so wird in ihm auch
das englische Recht „tme common law, the doctrincs
# eEquity and the statutes of general application“
eingeführt. Die sämtlichen Bewohner der Colony
sind ohne Unterschied der Rasse „British subjects“
und genießen, sofern nicht besondere Ausnahmegesetze
Platz greifen, auch gleichmäßig die Vorteile der Unter-
worfenheit unter englisches Recht. Im „Protecto-
rate“ ist die Angliederung keine so enge; die Bewohner
werden nicht „British subjects“, sondern nur
„British protected subjects“ und unterstehen daher
an sich auch nicht britischem Recht. Sie behalten ihr
eigenes Recht, sofern nicht besondere Gesetze erlassen
sind oder anderes Recht für anwendbar erklären. Die
grundsätzliche Rechtslage ist für sie also gerade die um-
gekehrte wie die der Bewohner der Colony.
Innerhalb der Goldküste und Nigeriens kam hier-
nach jenes allgemeine Prinzip der unmittelbaren An-
wendbarkeit gleichen Rechts auf beide Rassen nur für
das Gebiet der eigentlichen Cold Coast Colony und
der Colony of Southern Nigeria zur Anwendung,
d. h. auf die seit Jahrhunderten unter europäischem
Einfluß stehenden und mit europäischen Anschanungen
durchtränkten Küstengebiete. In den später erworbe-
nen weiten Gebieten der Protektorate von Ashanti,
Northern Territories of the Cold Coast. Soutliern
and Northern Nigeria behielten die Bewohner zu-
nächst ihr eigenes altes Recht. Erst spätere Sonder-
gesetze schufen hierin eine Anderung. Damit war für
sie in der Praxis in der weitüberwiegenden Mehrzahl
der Fälle die im deutschen Recht grundsätzlich aner-
kannte unterschiedliche Behandlung von Weißen und
Farbigen gegeben. In der Beurteilung der rechtlichen
Stellung der Eingeborenen in den „Colonies'’ muß
man berücksichtigen, daß die „Colonies“ erworben
wurden, als die Politik des „Laisseraller“ ") in Eng-
land für seine überseeischen Besitzungen in Blüte stand,
daß sie aus nur Handelszwecken dienenden Nieder-
lossungen, für die eine Eingeborenen-Politik mit be-
stimmten Richtlinien ohne Interesse war, hervor-
gegangen sind und daß schon während jener frühen
Zeit eine ganze Anzahl von Eingeborenen von der
Möglichkeit Gebrauch machte, sich in England englische
Bildung anzueignen. JIm übrigen blieben, ebenso wie
im deutschen Recht, der Schutz der Eingeborenen im
Verein mit dem Streben, sie wirtschaftlich und kulturell
zu fördern, dabei aber ihre Stammeseinrichtungen und
Sitten, soweit dies die Grundsätze der Menschlichkeit
und Gesittung eines modernen eunropäischen Staates
gestatten, zu schonen, die Hauptrichtlinien für die all-
gemeine englische Kolonialpolitik.
Sobald für die „Colony“ mit dem Tage ihrer
Konstitunierung und für die Protektorate je nach Bedarf
das Recht des Mutterlandes, das an einem bestimmten
Tage in Geltung war, als anwendbar erklärt ist, bleibt
der weitere Ausbau des Gesetzgebungswerkes den ver-
schiedenen Gebieten selbst überlassen. Sie schaffen sich
unbeschadet des immer vorbehaltenen Einspruchsrechts
der Kronc, die weiteren Bestimmungen selbst. In den
„Colonies"“ geschieht dies durch das Legislative Coun-
cil. Ihm können bei seiner Zusammensetzung aus
amtlichen und nichtamtlichen ernannten Mitgliedern
auch Eingeborene angehören, und in Accra wie in
Lagos ist dies auch tatsächlich der Fall. Gegen die
Beschlüsse des Council hat der Gouverneur nur ein
Vetorecht. Anderseits kann er, meist als „Covernor
in Council“, d. h. nach Anhörung des „Executive
Council“, Ausführungsbestimmungen aller Art zu dem
vom „Legislative Council“ geschaffenen Ordinanccs
erlassen. ·
Unabhängig hiervon arbeitet die Gesetzgebungs-
maschine in den Protektoraten. — Auf die Unter-
stellung Süd-Nigeriens unter die Zuständigkeit des
„Legislative Council“ in Lagos ist schon hingewiesen.
— In ihnen erläßt der Gouverneur auf Grund der
ihm übertragenen Machtbefugnisse selbständig die für
erforderlich erachteten Bestimmungen. Mangels einer
gesetzgzebenden Körperschaft ist den Eingeborenen eine
*) Vgl. Egerton, S. 361 ff., Bruce, S. 146.