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Sparsamkeit stehen. Alle außerordentlichen Aus-
gaben müssen möglichst beschränkt werden und ihr
Gegengewicht in der Bildung eines entsprechend
großen Reservefonds erhalten. Die nicht erfolgte
Amortisierung der Staatsschuld in den letzten
30 Jahren wird durch die sehr hohen einmaligen
Ausgaben für produktive Zwecke gerechtfertigt; so
find allein 30 000 000 K für öffentliche Arbeiten,
Eisenbahnen usw. ohne Zuhilfenahme fremden
Kapitals verwandt worden. Wenn die Regierung
auch der Ansicht ist, daß der bei weitem größte
Teil der wirtschaftlichen Kräfte Agyptens im Baum-
wollbau sich gewinnbringend erschöpft, so ist sie
doch bestrebt, die Hilfsquellen des Landes auch
nach der Seite der Industrie, des Bergbaues usw.
zu entwickeln. Der üÜberschuldung des llein-
bäuerlichen Grundbesitzes (Fellahs) hat die Re-
gierung durch Einrichtung von Landkreditinstituten
und durch das 5 Feddan-Gesetz entgegenzuwirken
gesucht. Dieses Gesetz verbietet — allerdings
ohne rückwirkende Kraft — die hypothekarische
Belastung von kleinbäuerlichen Grundstücken von
bestimmtem Umfang und soll so das bisherige
„Bauernlegen“ durch fremde Geldgeber verhindern.
Weiterhin ist die Regierung für die Stärkung und
Vermehrung des kleinbäuerlichen Grundbesitzes
dadurch bestrebt gewesen, daß sie unbebautes
Kronland parzelliert und die Parzellen unter
Stundung der Kaufsumme und unter Gewährung
eines Darlehns für Kultivierungsausgaben an
Kleinfiedler abgegeben hat, welche nach lang-
fristiger Abzahlung der Kaufsumme und des Dar-
lehens diese Parzellen dann zu lastenfreiem
Eigentum erwerben können. Dieser Schutz der
Fellahs war notwendig geworden, weil diese, mit
wenig wirtschaftlichem Sinn begabt, von der Hand
in den Mund lebend, das Objekt eines scham-
losen, 30 bis 40 v. H. erreichenden Wuchers ge-
worden waren. Das 5 Feddan-Gesetz hat seine
günstigen Wirkungen bereits gezeigt, insbesondere
eine Erleichterung der Kreditgewährung seitens
der Landwirtschaftsbank herbeigeführt.
Eine Neuerung von wesentlicher Bedeutung
ist die Einführung der Kantonal-Gerichtsbarkeit
in den kleineren Städten für Zivil= und Straf-
Bagatell-Sachen. Diese Gerichtshöfe stehen unter
der Oberaufsicht des Richters von Markaz und
sind von der Bevölkerung sympathisch begrüßt
worden, insbesondere weil durch sie den lokalen
Usancen mehr Rechnung getragen werden kann
und bei den meisten Prozessen den Parteien die
kostspielige Reise nach Markaz erspart bleibt.
Am 23. Dezember hat Seine Hoheit der
Khedive den Assuan-Damm eingeweiht. Weiter
projektiert wird insbesondere als Schutz gegen
Überschwemmungen die Aufführung eines Stau-
dammes am Weißen Nil 40 Meilen oberhalb
Khartum. Die jetzigen Bewässerungsmöglichkeiten
für das zur Zeit unter Kultur befindliche Land
erscheinen genügend, ebenso für alle vorausseh-
bare Kulturausdehnung im Deltagebiet in den
nächsten 15 Jahren, ausgenommen bei Eintreten
eines außergewöhnlich niedrigen Wasserstandes.
Der geplante Damm am Weißen Nil soll dann
eine genügende Bewässerung auch bei Ausbreitung
der Kulturen in Ober-Agypten und bei Ein-
treten niedrigen Wasserstandes im Delta ermög-
lichen.
Der Baumwollwurm ist von der Regierung
mit Erfolg bekämpft worden. Die eingeführten
Baumwollmärkte haben auf Preis und Qualität
von Baumwolle einen günstigen Einfluß aus-
geübt.
Im Ministerium der öffentlichen Arbeiten ist
eine besondere Wegeabteilung eingerichtet worden.
Eine neue Straße ist zwischen Alexandria und
Kairo und Kairo und Heluan eröffnet worden.
Besonderes Interesse hat die Regierung dem
Studium junger Agypter in Europa gewidmet
und hierin seitens der Universität Oxford großes
Entgegenkommen gefunden.
Den immer noch viel zu zahlreichen Ver-
brechen ist durch Weiterausgestaltung des Sicher-
heitsdienstes entgegengearbeitet worden.
Die staatlichen Domänen haben insbesondere
auch als landwirischaftliche Versuchsstationen
gedient.
Die beiden Körperschaften der Volksvertretung,
die General Assembly und das Legislative Council,
haben getagt. Bei der Eröffnung der ersteren
teilte Seine Hoheit der Khedive mit, daß die
Regierung sich mit der Idee der Ausgestaltung
der Volksvertretung trage. Die geleistete Arbeit
der beiden Körperschaften hat das Berständnis
ihrer Mitglieder für gesetzgeberische Aufgaben
erwiesen. —
Die Tätigkeit der gemischten Gerichtshöfe, der
Fleiß und die Tüchtigkeit ihrer Richter wird an-
erkannt, gleichzeitig aber bedauert, daß die dringend
notwendige Reform derselben infolge der Un-
einigkeit der Mächte noch nicht durchgeführt werden
konnte. Der verbesserungsbedürftigste Punkt sind
die sehr hohen Kosten, mit welchen die gemischten
Gerichtshöfe den Etat belasten. Eine Herabsetzung
der Richterzahl erscheint als das geeignete Heil-
mittel. Dabei soll aber nicht an der Grundlage
der gegenwärtigen Gerichtsverfassung, der Be-
teiligung von Richtern verschiedener Nationalität
an der Rechtsprechung gerüttelt werden. Die
augenblickliche Gerichtsverfassung und das herr-
schende Prozeßverfahren wird für veraltet und
als nicht ausreichend für den Schutz der von
den Gerichten wahrzunehmenden Interessen er-
klärt.