Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIV. Jahrgang, 1913. (24)

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Sparsamkeit stehen. Alle außerordentlichen Aus- 
gaben müssen möglichst beschränkt werden und ihr 
Gegengewicht in der Bildung eines entsprechend 
großen Reservefonds erhalten. Die nicht erfolgte 
Amortisierung der Staatsschuld in den letzten 
30 Jahren wird durch die sehr hohen einmaligen 
Ausgaben für produktive Zwecke gerechtfertigt; so 
find allein 30 000 000 K für öffentliche Arbeiten, 
Eisenbahnen usw. ohne Zuhilfenahme fremden 
Kapitals verwandt worden. Wenn die Regierung 
auch der Ansicht ist, daß der bei weitem größte 
Teil der wirtschaftlichen Kräfte Agyptens im Baum- 
wollbau sich gewinnbringend erschöpft, so ist sie 
doch bestrebt, die Hilfsquellen des Landes auch 
nach der Seite der Industrie, des Bergbaues usw. 
zu entwickeln. Der üÜberschuldung des llein- 
bäuerlichen Grundbesitzes (Fellahs) hat die Re- 
gierung durch Einrichtung von Landkreditinstituten 
und durch das 5 Feddan-Gesetz entgegenzuwirken 
gesucht. Dieses Gesetz verbietet — allerdings 
ohne rückwirkende Kraft — die hypothekarische 
Belastung von kleinbäuerlichen Grundstücken von 
bestimmtem Umfang und soll so das bisherige 
„Bauernlegen“ durch fremde Geldgeber verhindern. 
Weiterhin ist die Regierung für die Stärkung und 
Vermehrung des kleinbäuerlichen Grundbesitzes 
dadurch bestrebt gewesen, daß sie unbebautes 
Kronland parzelliert und die Parzellen unter 
Stundung der Kaufsumme und unter Gewährung 
eines Darlehns für Kultivierungsausgaben an 
Kleinfiedler abgegeben hat, welche nach lang- 
fristiger Abzahlung der Kaufsumme und des Dar- 
lehens diese Parzellen dann zu lastenfreiem 
Eigentum erwerben können. Dieser Schutz der 
Fellahs war notwendig geworden, weil diese, mit 
wenig wirtschaftlichem Sinn begabt, von der Hand 
in den Mund lebend, das Objekt eines scham- 
losen, 30 bis 40 v. H. erreichenden Wuchers ge- 
worden waren. Das 5 Feddan-Gesetz hat seine 
günstigen Wirkungen bereits gezeigt, insbesondere 
eine Erleichterung der Kreditgewährung seitens 
der Landwirtschaftsbank herbeigeführt. 
Eine Neuerung von wesentlicher Bedeutung 
ist die Einführung der Kantonal-Gerichtsbarkeit 
in den kleineren Städten für Zivil= und Straf- 
Bagatell-Sachen. Diese Gerichtshöfe stehen unter 
der Oberaufsicht des Richters von Markaz und 
sind von der Bevölkerung sympathisch begrüßt 
worden, insbesondere weil durch sie den lokalen 
Usancen mehr Rechnung getragen werden kann 
und bei den meisten Prozessen den Parteien die 
kostspielige Reise nach Markaz erspart bleibt. 
Am 23. Dezember hat Seine Hoheit der 
Khedive den Assuan-Damm eingeweiht. Weiter 
projektiert wird insbesondere als Schutz gegen 
Überschwemmungen die Aufführung eines Stau- 
dammes am Weißen Nil 40 Meilen oberhalb 
  
Khartum. Die jetzigen Bewässerungsmöglichkeiten 
für das zur Zeit unter Kultur befindliche Land 
erscheinen genügend, ebenso für alle vorausseh- 
bare Kulturausdehnung im Deltagebiet in den 
nächsten 15 Jahren, ausgenommen bei Eintreten 
eines außergewöhnlich niedrigen Wasserstandes. 
Der geplante Damm am Weißen Nil soll dann 
eine genügende Bewässerung auch bei Ausbreitung 
der Kulturen in Ober-Agypten und bei Ein- 
treten niedrigen Wasserstandes im Delta ermög- 
lichen. 
Der Baumwollwurm ist von der Regierung 
mit Erfolg bekämpft worden. Die eingeführten 
Baumwollmärkte haben auf Preis und Qualität 
von Baumwolle einen günstigen Einfluß aus- 
geübt. 
Im Ministerium der öffentlichen Arbeiten ist 
eine besondere Wegeabteilung eingerichtet worden. 
Eine neue Straße ist zwischen Alexandria und 
Kairo und Kairo und Heluan eröffnet worden. 
Besonderes Interesse hat die Regierung dem 
Studium junger Agypter in Europa gewidmet 
und hierin seitens der Universität Oxford großes 
Entgegenkommen gefunden. 
Den immer noch viel zu zahlreichen Ver- 
brechen ist durch Weiterausgestaltung des Sicher- 
heitsdienstes entgegengearbeitet worden. 
Die staatlichen Domänen haben insbesondere 
auch als landwirischaftliche Versuchsstationen 
gedient. 
Die beiden Körperschaften der Volksvertretung, 
die General Assembly und das Legislative Council, 
haben getagt. Bei der Eröffnung der ersteren 
teilte Seine Hoheit der Khedive mit, daß die 
Regierung sich mit der Idee der Ausgestaltung 
der Volksvertretung trage. Die geleistete Arbeit 
der beiden Körperschaften hat das Berständnis 
ihrer Mitglieder für gesetzgeberische Aufgaben 
erwiesen. — 
Die Tätigkeit der gemischten Gerichtshöfe, der 
Fleiß und die Tüchtigkeit ihrer Richter wird an- 
erkannt, gleichzeitig aber bedauert, daß die dringend 
notwendige Reform derselben infolge der Un- 
einigkeit der Mächte noch nicht durchgeführt werden 
konnte. Der verbesserungsbedürftigste Punkt sind 
die sehr hohen Kosten, mit welchen die gemischten 
Gerichtshöfe den Etat belasten. Eine Herabsetzung 
der Richterzahl erscheint als das geeignete Heil- 
mittel. Dabei soll aber nicht an der Grundlage 
der gegenwärtigen Gerichtsverfassung, der Be- 
teiligung von Richtern verschiedener Nationalität 
an der Rechtsprechung gerüttelt werden. Die 
augenblickliche Gerichtsverfassung und das herr- 
schende Prozeßverfahren wird für veraltet und 
als nicht ausreichend für den Schutz der von 
den Gerichten wahrzunehmenden Interessen er- 
klärt.
	        
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