Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVII. Jahrgang, 1916. (27)

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Aus den Krchiven des belgischen Kolonialministeriums. 
Fünfte Veröffentlichung.-) 
Die Verhinderung von Terrainerwerb seitens Oißliebiger im Kongostaat und das 
persönliche Eingreifen des hongo-Souveräns in solchen Fällen. 
Die erste gesetzgeberische Handlung des wer- 
denden?"") Kongostaates betraf bezeichnenderweise 
den Landerwerb. Am 1. Juli 1885 erging auf 
Veranlassung des Souveräns eine Ordonnance 
Lgl. „D. Kol. Bl.“ Nr. 12/13, S. 172ff. 
Die Frage, seit wann der Kongostaat in Existenz 
Cetreten ist, ist in der Kongoliteratur eifrig erörtert 
worden. Sie ist schließlich eine reine Doktorfrage ohne 
praktische Bedeutung. Eine solche hatte sie zeitweise 
nur dadurch gewonnen, daß aus leicht durchsichtigen 
Gründen die Befürworter des leopoldinischen Systems 
die Behauptung aufstellten, daß der Kongostaat geraume 
Zeit vor der Berliner Kongokonferenz auf Grund der 
von ihm mit den eingeborenen Häuptlingen abge- 
schlossenen Verträge, in voller Unabhängigkeit und 
Autonomie bereits bestanden habe. 
Diese Verträge waren aber nur Scheinverträge, 
über deren wirkliche Bedeutung die Eingeborenen 
keineswegs im klaren waren. Das geht schon aus den 
minimalen Gegenleistungen hervor, die die Association 
bei den Vertragsabschlüssen den Häuptlingen bot. 
Kein Mensch wird ernstlich glauben, daß eine alte, 
beim Trödler erstandene Militäruniform oder ein gold- 
betretßter Diplomatenfrack, einige Stücke Baumwoll= 
gewebe aus Manchester, ein Dutzend Kisten Gin, einige 
orbflaschen Handelsrum, einige Steinschloßgewehre 
und Fäßchen Pulver ein Aquivalent für die von 
Häuptlingen in den Verträgen aufgegebenen Rechte 
auf ihre Unabhängigkeit und die freie Verfügung über 
ihre Dorfgebicte darstellten. Nach den am unteren 
Kongo bei den Eingeborenen in der vorstanleyschen 
Zeit herrschenden Anschauungen und Rechtsgewohn- 
heiten war das Land tatsächlich unverläuflich und un- 
abtretbar. Ein Kaufmann, der eine Faktorei eröffnen 
wollte, konnte das erforderliche Terrain nur auf Zeit 
gegen Bezahlung einer gewissen Summe in Tausch- 
waren und gegen eine weitere jährliche Rente pachten. 
Wurde die Faktorei aus irgendeinem Grunde auf- 
egeben, so verfielen die auf dem Grundstück errichteten, 
gewöhnlich sehr wenig wertvollen Immobilien dem 
Dorf, auf dessen Grund und Boden sie standen. 
A. Vermeersch (La qucstion congolaisc, VDruxelles. 
1900, S. 29) will die wirkliche Existenz des Kongo-= 
staates erst von der Zeit der vollzogenen tatsächlichen 
Okkupalion seines ganzen Gebietes, die etwa 1895 
beendet war, datiert wissen. Das erscheint zweifellos 
zu weitgehend. 
Anderseits kann wohl bezweifelt werden, ob 
F. Cattier (Droit et administration de I’Etat indé-- 
bendant du Congo, Brurelles 1898, S. 45) im Recht 
ist, wenn er die Geburtsstunde des Kongostaates in 
die Zeit von 1879, dem Beginn der Stanleyschen 
Kongo-Expedition, bis zum 22. April 1884, dem Datum 
der Anerkennung der Association durch die Vereinigten 
Staaten als die einer befreundeten Macht, verlegt. 
u Kongo wurde seitens der Verwaltung der 1. Juli 
s der Geburtstag des Kongostaates offiziell gefeiert. 
  
  
des Administratcur génêral, Oberst de Winton, 
die lautete: 
1. A partir de la présente proclamation, 
aucun contrat ni convention passé avec des 
Doch waren am 1. Juli 1885 weder die Grenzen des 
Staates und sein Gebiet bereits festgestellt und inter- 
national anerkannt — das geschah erst später infolge 
der von ihm am 1. August 1885 erlassenen Neutrali- 
tätsproklamation —, noch übte er über das von ihm 
beanspruchte Territorium bereits die tatsächliche Herr- 
schaft aus. Der allergrößte Teil seines Gebietes war 
1885 noch nicht einmal erforscht und geographisch völlig 
unbekannt. Dabei muß aber bemerkt werden, daß 
auch in anderen afrikanischen Kolonien die Praxis in 
dieser Beziehung keine andere war als diejenige, die 
die Kongoverwaltung mit ihren ersten staatlichen Er- 
lassen am 1. Juli 1885 einschlug. So gilt die Kame- 
runer Kronlandverordnung von 1896 auch für die 
Tschadseeländer, die zwar 1894 durch die Verträge mit 
Frankreich und England völkerrechtlich erworben, aber 
erst von 1901 an in Verwaltung genommen wurden. 
In der Angelegenheit verdient folgender Punkt 
besondere Beachtung, der bisher, wie es scheint, unbe- 
rücksichtigt geblieben ist. Bei den Verhandlungen, die 
König Leopold im Juni 1884 mit Bismarck über die 
staatliche Anerkennung seines Unternehmens einleitete, 
lautete der erste, vom König dem Fürsten vorgelegte 
Entwurf, wie folgt: LDécluration du Gouvernement 
Imperinl Allemand. Le Gouvernement de S. l. I’Em- 
pereur d'Allemagne en prennant acte des engagements. 
contenus dans la declurntion signée unjourd’hui au 
nom de I’Associntion Internat. du Congo ct de I’Etat 
Indépendant qdui sera formé par clllel Aus 
diesem Entwurf, der als zu unbestimmt und vieldeutig 
nicht die Zustimmung Bismarcks fand und auf dem er 
marginal zu dem Ser“ die Bemerkung „nasciturus’. 
hinzufügte, geht klar hervor, daß der König selbst zu 
jenem Zeitpunkt den Kongostaat als noch nicht vor- 
* betrachtete. (Vgl. auch Artikel 4 dieser Serie, 
Spalt 
Jedenfalls hat, und das wird immer noch so häufig 
überseen die Berliner Kongokonferenz nichts mit dem 
Kongostaat zu tun, in keinem Artikel der Berliner Akte 
ist von ihm die . Die Verhandlungen der Asso- 
ciation mit den Mächten über ihre Anerkennung als 
Staat fanden zwar gleichzeitig, aber außerhalb der 
Arbeiten und des Rahmens der Konferenz statt. Die 
Vertreter der Associalion internationale nahmen, als 
sie bei Gelegenheit der Schlußsitzung der Kongo- 
konferenz den Beitritt der Association zu den Beschlüssen 
der Konferenz erklärten, nur die Glückwünsche der 
Vertreter der an den Beratungen beteiligt gewesenen 
11 Mächte für die gedeihliche Entwicklung eines Staats- 
wesens, das noch ganz und gar im Entstehen begriffen 
war, entgegen. Die Anerkennung ging in diesem Fall 
dem wirklichen Bestand des Staates, für dessen Orga- 
nisation fast noch alles zu tun blieb, vorans. 
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