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Veterinärmedizin. Nun hat auch in Mittelafrika eine
sich steigernde Nachfrage nach Fleisch eingesetzt infolge
der Anlage von europaischen Pflanzungen, Bergwerks-,
Bahnbauunternehmungen, Truppenansammlungen mit
ihrem Zustrom von schwargen Arbeitern, Soldaten
und Dienstpersonal. Der Hauptabnehmer, der Ein-
geborene, hat nun nicht ein Jnteresse an hochwertiger
Beschaffenheit, sondern an möglichst reichlichem und
preiswertem Angebot von Fleisch. In Mittelafrika
ist nicht der gleiche eingehende Seuchenschutz vorhanden
wie daheim, und viele, uus fremde Seuchen mußten
von dem wenig zahlreichen tierärztlichen Personal noch
ersorscht werden. Der lebhafter gewordene, keiner
Einschränkung unterworfene Viehhandel förderte anßer-
dem Verseuchung und Uiehsterben. Wir sehen, daß
für Mittelafrika die wirtschaftlich betriebene Tiergucht
vorläufig vor die Aufgabe gestellt ist, den vorhandenen
Biehstapel durch ausgedehnten tierärztlichen Schutz
nach Möglichkeit zu steigern und die dem Lande an-
Vepaßte, zähe und genügsame Viehrasse zu erhalten
und zu verbessern, falls sie nicht ohne Schaden und
unter Aufwendungen, welche mit dem Ertrag im Ein-
klang stehen, durch eine leistungsfähigere ersetzt werden
lann. In den meisten Landschaften kommt der Aus-
breitung der Zucht die Eignung des Eingeborenen als
Tierzüchter entgegen.
Ich habe mich in allen meinen Abhandlungen be-
müht, zu zeigen, daß der Eingeborene Tier zucht treibt
und die Tierhaltung die Ausnahme ist und einen
Rückschritt bedentet. Die ganze Tierzucht baut sich
natürlich auf extensiver Grundlage der Weidewirtschaft
auf. Einen Ansatz zur Zufütterung mit gehauenem
Gras findet man vereinzelt dort, wo die Knappheit
der Weide dies bedingt, z. B. in Gebirgslandschaften.
bei Stämmen, die den Dung verwenden, und vielfach
in der Kälberaufzucht.
Tierzucht treiben nicht nur die reinen Hirtenstämme
der Watutzi. Fulbe, Massai und andere, sondern auch
die Ackerbauvölker der Wanyamwezi, Wasukuma, 2%
gaya. Germa, seßhafte Fulbe u. a. m. Die Grundlage
der Tierzucht bei den Eingeborenen bildet die Auswahl
der Bullen. Stärken werden nie von der Zucht aus-
geschlossen. (Wie auch noch vor kurzem bei uns:
schwache Tiere kommen außeidem weniger leicht hoch
als bei uns.) Die Bullenkälber gut milchender Kühe
Massai) oder der schwersien Kühe (Ackerbauer) werden
ausgesucht, die übrigen ausgemerzt durch getrenntes
Hüten (Watutzi) oder Kastration in jugendlichem Alier
(Massai und an'ere). Nach einem Jahre werden im
Wachstum zurückgebliebene Bullenlälber in gleicher
Weise ausgeschieden. Einige Stämme bewerten sogar
noch die Ersterzeugnisse der Bullen, ehe sie sich für
den eigentlichen Stammhalter der Herde entscheiden
(Massai und von Massai beeinflußte Ackerbauer). Ab-
heehen von bewußter Inzestzucht, welche die Massai
nach sehr guten Bullen gelegemlich treiben, ist man
bestrebt, durch den Bullen der Herde frisches Blut
zuzuführen: durch Austausch der Bullen, durch Erwerb
von Jungbullen aus fremden Herden nach Lieblings-
farben. Ferner wird auch durch Stärken frisches Blut
Auge ührt durch Erwerb als Heiratsgut, Negelung von
Erbschaften und durch Tausch gegen Ochsen beim Vieh-
handel. Im allgemeinen wird auf zwanzig Kühe ein
Bulle gerechnet.
Die Kälber werden während der ersten drei bis
fünf Lebensmonate im Kral unter Bäumen, oft unter
einem Schutgdach gehalten, meist mit einer Leine be-
festigt; während der ersten zehn bis vierzehn Tage
bleibt die Kuh dauernd beim Kalb. Später geht sie
mit der Herde und tränkt das Kalb morgens, abends
— vielfach auch mittags — nach dem Melken. Die
afrilanische Kuh läßt sich nur im Beisein des Kalbes
melken. Vom dritten bis fünften Monat an werden
die Kätber für sich gehütet, meist in Gemeinschaft mit
dem Kleinvieh, bis sie mit zwei Jahren in die Herde
eingestellt werden. Doch bestehen die Süüten Ver-
schiedenheiten in dieser Beziehung. So lassen z. B.
die Fulbe Togos die Kälber, welche vorher im Kral
mit Gras gefüttert wurden, schon vom vierten bis
sechsten Monat ab mit der Herde gehen und verhüten
über Tag das Saugen durch einen auf die Nase ge-
setzten Stachelkranz.
Das Hüten, Putzen, Mellen der Rinder ist bei
züchtenden Stämmen Männerarbeit. Nur Kleinvieh
und Kälber werden oft von Knaben gehütet.
Einfache Tierhaltung kann man sofort daran er-
lennen, daß die Sorge um die Tiere Mädchen und
Jungen überlassen ist. In Togo reiten diese die
Rinder zur Weide. Dort läßt man das Kalb von Ge-
burt an mit der Mutter gehen, sondert die zahlreichen
Bullenkälber nicht von den Kühen und überläßt den
etwas erwachsenen die Sorge für die Nachkommen-
schaft, da man die erwachsenen bald schlachtet. Ge-
molken wird nicht. (Obwohl dadurch die Kälber in
den Genuß der Gesamtmilch kommen, sind sie insolge
der steten Bewegung zurückgeblieben gegenüber den
gleichaltrigen in Herden. welche melkenden Fulbes zur
Hütung übergeben sind.) Sogar fehlerfreie Kühe
werden in derartigen Haltungen geschlachtet. Vüchter-
völker schlachten Kühe nur sterbend oder im Falle
Unfruchtbarkeit. (Nach memen Boobachtungen euf
Zyslen in den Eierstöcken beruhen
Eine derartige Tierhaltung ist natürlich ein Grenz-=
fall. Die Tierhaltung im Untercchied zur Tierzucht in
Afrika ist gekennzeichnet dadurch. daß man alle er-
zengten Bullen mit den Kühen laufen läßt.
Die Entartung der Tierzucht zur Tierhaltung wird
nach meinen Beobachtungen bedingt durch eine Herab-
minderung des Interesses an der Zucht. Hauptgrund
sind Seuchen, die den Bestand der Herden immer
wieder vermindern, zweitens das Auflommen irgend-
einer lohnenden Ackerbaukultur und damit wieder im
Zusammenhang eine stärkere Heranziehung der Männer,
die, wie wir gesehen, die eigentlichen Versorger der
Haustiere sind. In früheren Zeiten mögen die Be-
drängungen der Umwohnenden eine große Rolle ge-
spielt haben, die den Züchtern einen Tribut an Vieh
auferlegten und ihnen nun alljährlich die besten Stücke
fortholten. Viertens bildeten bei Stämmen,. welche,
von arabischen Sitten beeinflußt. Sinn für Luxus an
Kleidung, Schmuck, Weibern und Pferden haben, die
gesteigerte Nachfrage — etwa die Anlage von euro-
päischen Pflanzungen — die Ulrsache, daß sie sich der
Bullen entänsßern, ohne sie auswachsen zu lassen. Da
ja in Afrika nicht nach Gewicht, sondern nach Stück
verkauft und im Zwischenhandel viel verdient wird,
wird diesem verwerflichen Arbeiten Vorschub geleistet.
Schließlich ist für den Niedergang der Viehzucht
in den frangösischen Kolonien noch die dortige Ver-
waltung unmittelbar verantwortlich zu machen. Da
dort die Steuerleistungen nicht wie in deutschen Schut=
gebieten durch kurzfristige Arbeitsleistungen der er-
wachsenen Männer (vierzehn Tage bis vier Wochen
im Jahr) ausgeglichen werden können, außerdem beide
Geschlechter etwa vom zehnten Jahre an Steuern
zahlen müssen. sind die Leute oft gezwungen, aus dem
Verkauf weiblichen Viehs ihre Steuerlasten aufzu-
bringen. Nach denselben Grundsätzen wird natürlich
auch in den besetzten deutschen Rolonien von den Fran-
zosen gearbeitet.
Als Beweis meiner obigen Behauplung möge ganz
allaemein dienen, daß an den Küsten die Tierzucht