GV 312 20
Tietse ausgebreitet werden kann. Der Rrieg in den
Kolonien wird aus Gründen, die weiler unten behandelt
werden sollen, der Ausbreitung der Tseise noch Vor-
schub leisten, so daß ihre Bekämpfung zu den wichtigsten
Aufgaben nach dem Kriege gehören wird, zusammen
mit der, wie wir sehen werden, innig mit ihr ver-
auickten Seuchenbekämpfun
Ich möchte hier auf 9 Tierseuchenfrage in den
Tropen gang im allgemeinen eingehen und zu dem
Zwecke die Frage aufwerfen: Haben sich die Verhältnisse
unter der enropäischen Schutzherrschaft gebessert oder
verschlechter
Zur eh iworlung dieser Frage ist man auf Schlüsse
angewiesen, auf ergänzende Eingeborenenaussagen und
auf Beobachtungen. Wenn man z. B. die Schilderungen
derjenigen verfolgt, welche Ostafrika zuerst bereisten
und sich mühsam von Stamm zu Stamm durchschlagen
mußten, dann liest man Berichte über große Rinder-
herden an Orten, wo man heute durch endlosen Tsetse-
busch wandert. Einwanyrei bestätigt werden diese
Berichte, wenn man plötzlich im Busch auf ehemalige
Viehkrale trifft, lenntlich an den im Kreise stehenden
Euphorbien und Fikus, welche als Palisaden eingesetzt
wurden und angewachsen sind. Auch innerhalb der
Dörfer findet man oft verlassene Krals, die hier aus
geschälten Palisaden hergestellt werden. In diesem
Fall hat man es dann mit einem vor kurzem erfolgten
Absterben der Herde zu tun, da derartige Baulichkeiten
sich nicht zu lange halten. Ferner tun die typischen
Melkgefäße der Gegend, Gerät aus Kuhhörnern und
Schuhwerk, noch den ehemaligen Züchter in jetzt vieh-
losen Gegenden kund. Derartige Beobachtungen habe
ich bis zur Küste herunter nach Bagamoyo, wo heute
noch einige traurige, kranke Uberreste von Rinderherden
im Tsetsebusch weiden. machen können. (Dort sagten
mir die Neger, daß bis zur Wißmann-Zeit das Land
mit Rindern bestockt war, bis fremde Rinder aus dem
Innern eine Seuche einschleppten.)
Ehe der Europäer das Land unterwarf und be-
friedete, waren die Stämme untereinander verfeindet,
und damit auch ihre Herden gegeneinander abgeschlossen.
Trat irgendwo eine Seuche auf — etwa durch Zutrieb
von Beutevieh —, so blieb sie eingegrenzt, richtete die
ergriffene Herde zum Teil zugrd wurde enzootisch,
und allmählich erholte sich die Herde wieder. Hierzu
daß, wic oben erwähnt, die Tierzucht in großer
Wa stand, und die Männer ihre volle Aufmerksamkeit
auf die erkrankten Tiere richten konnten. Ich erinnere
nur an die eingehende Kenntnis, die viele Stämme
von den Tierseuchen haben. Die Entdeckung der
Impfung gegen Lungenseuchen der Rinder durch die
Massai, und die Impfung gegen die ansteckende Lungen-
entzündung der Ziegen bei sehr vielen anderen Stämmen.
Als Mittelafrika der europäischen Herrschaft unterworfen
wurde, ebrte unter Einfluß der Europäer die nachbar-
liche Fehde auf; eine größere Rechtssicherheit trat ein
und Lemii ein lebhafter Viehhandel, der sich vielfach
auf Tausch von Stärken gegen Ochsen gründete. Da-
mit flackerten Epidemien auf, und Seuchenzüge gingen
durch das Land. Oft folgte eine Seuche
und vertilgte die Reste der Herde, so daß das Land
von Rindern frei wurde. Bei reinen Hirten wic den
Massai. bewirkte das Eingehen der Rinder auch Fort-
sterben der an Milchernährung gewöhnten Stammes-
mitglieder. Bei den züchtenden Ackerbauern trat eine
erhebliche Sterblichkeit der Linder. ein infolge der Um-
gewöhnung an vegetabilische K
In den Tropen schicßt Lost. mit Ausnahme der
lühleen und windbestrichenen Hochsteppen — in diesen
nur an den tiefer gelegenen und feuchteren Ein-
schnitten überall Busch auf, wo der Boden nicht
er anderen
unter steicr uliur oder Viehnutzung sieht. Dieser
Entwicklung vermochie die infolge des Verlustes der
Herde allerdings etwas vermehrte Ackerbautätigkeit der
zusammengeschmolzenen Stämme nicht erfolgreich zu
begegnen, bearbeitet doch die Familie für ihren Lebens-
unterhalt enva einen Hektar im Jahre, während ein
Rind in Afrika mindestens vier Hektar vom Busch frei-
hält. Außerdem ist auch zu berücksichtigen, daß auch
auf der nicht beweideten Brache Busch wieder auf-
schießt. In dieser nun gebildeten Deckung siedelte sich
Wild an, und mit ihm in Gegenden unter 1800 bis
2000 m Höhenlage sein Begleiter, die Tsetsefliege.
welche auf den Hochflächen nicht sortkommt.
Ein ähnlicher Zustand wurde hervorgerufen, wenn
sich dic Verwaltung geuötigt sah. zu dem äußersten
Mittel zu greifen, um den Trotz eines Stammes zu
brechen, nämlich ihm die Gesamtheit seines Wohlstandes.
d. h. seiner Rinder, zu nehmen. Vom politischen Stand=
punkte ist eine solche wirtschaftlich bedauerliche Maß-
nahme oft geboten, vom wirtschaftlichen Standpunkte
ist sie verwerflich. Wenn irgend angängig, sollte man
sich daher mit einem jährlichen Tribut an Stärken
begnügen, eine Maßregel, welche noch nachdrücklicher
wirkt und Vieh zur Besiedlung nicht bestockter Gegenden
freimacht.
eenn es nun gegen die Tsetseerkrankung kein
leicht und preiswert im großen anwendbares Heilmittel
gibt, so haben wir meiner Meinung nach das Mittel.
die Uberträgerin, die Tsetsefliege, zu vernichten. Es
ist dies die Bodenkultur mit nachsolgender Viehzucht.
Dieselben Faktoren, deren Ausschaltung die Ansiedlung
der Fliege möglich gemacht haben, sollen zu ihrer Ver-
nichtung dienstbar gemacht werden. Daraus folgt
anderseits, daß das Vordringen der Isetse zu ver-
hindern ist durch Schutz der Herden gegen Epizootien
mittels ausreichenden, tierärztlichen Personals.
Es ist natürlich nicht daran zu denken, riesige
Urwaldstrecken von Tsetse zu sänbern, Orte, auf die
die oben geschilderten Vorgänge leine Anwendung
finden. Dort, wo heute noch Herden bestehen, deren
Bestand immer mehr abbröckelt infolge der Tetsc.
dort hat die Bekämpfung zunächst einzusetzen. Ferner
fHochflächen mit tieferen Einschnitten, an deren
bebuschten Bachläufen die Fliege die Bedingungen zur
Larvenablage findet, von wo aus sie mit dem Wild
in die freie Steppe wandert — auf der Nahrungs-
suche; dort soll man anfangen, um die Steppe wirt-
schaftlich durch Bestockung mit Vieh ausnutzen zu können.
Ich möchte hier zwei eigene Beobachtungen ein-
schieben, die der Bekämpfung der Tscise zu dienen im-
ande sind. Wenn ich mit meiner Karawane in ein
im Tsetsebusch gelegenes Dorf kam, dann folgten die
Fliegen zwar bis in das Dorf, verschwanden aber
nach ganz kurzer Zeit. Man sollte nun gerade das
Gegenteil annehmen, da die Fliege am Menschen
ebenso gute Ernährungsbedingungen findet wie beim
Tier und von diesen auch im B Busch den ausgiebigsten
Gebrauch macht. (Ubrigens nimmt sie den Leicht
bekleideten lieber an, als den nackten, wahrscheinlich.
weil sic an der Kleidung ebenso guten Halt findet wie
an dem Laarkleid des Tieres.) — BWeshalb liebt sie
nun das Dorf nicht? Ich kann es genau nicht sagen,
vermute aber, daß der Geruch der menschlichen Fäka-
lien sie vertreibt. Es würde dies mit einer Beobach-
tung zusammenjallen, die mir ein Missionar brieflich
mitteilte, daß Stämme im Süden Deutsch-Ostafrilas
ihre Rinder zum Schun gegen die Tsetse mit Kot ein:
reiben. Es ist von anderer Seite beobachtet worden,
daß die Fliege in Bauanenpflangungen Unterschlupf
sucht. Ich bobe das im Bukobabezirk in der Nähe von
Tsetsebusch nie bemerkt. Möglich, daß auch dort die