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etwas umwandeln, ich möchte sagen: Die Ein-
geborenen haben ein Selbstzweckrecht, sie haben
den Anspruch, von den höher entwickelten Rassen
jederzeit zugleich als Zweck und nicht bloß als
Mittel betrachtet zu werden. Zu dieser
Kantischen Forderung muß sich henute jede
Macht bekennen, die Kolonialpolitik treiben will.
MWir müssen es, einmal, nun, sagen wir
es ohne Schen, weil es ein Postulat unserer
Weltanschanung ist, weil unser politisches
Gewissen es fordert; sodann aber müssen wir es
im wohlverstandenen nationalen Interesse. Hier
werden wir, wie die Kolonialverwaltungen aller
Länder, nach dem Kriege einen harten Kampf
mit jenem kurzsichtigen Egoismus zu bestehen
haben, der in England heute schon jeine Ansprüche
anmeldet. Wir, damit meine ich nns und die
sämtlichen europäisschen Staaten, wir werden
kaum einen Uberschuß an unternehmungslustigen
jüngeren Leuten haben, um Afrika zu besiedeln,
ganz abgesehen von der noch ungeklärten Frage,
wie weit Afrika für die mittelländische Rasse be-
siedlungssähig ist. Das erschöpfte Europa wird
aber einen gewaltigen Ounger nach den Produk-
ten der Tropen haben. Diese Notlage wird für
gewisse Interessentengruppen eine große Ver-
suchung sein, ohne Rücksicht auf da: Gedeihen
und die Wohlfahrt der afrikanischen Stämme,
ohne Schonung des afrikanischen Bodens und
seiner reichen Bestände, Raubbau zu treiben.
Eine gewissenlose Ausbentepolitik könnte sich zwei
Opfer suchen: einmal die natürlichen Schätze des
Landes, sodann aber seine Menschenkraft. Die
zweite Form des Raubbaues, die mit der ersten
auf das innigste zusammenhänugt, ist die gefähr-
lichere: Afrika ist in weiten Strichen dünn be-
völkert. Stammeskämpfse, Hungersnöte, Seuchen
haben die Völkerschaften periodisch dezimiert, oft
bis an den Aussterbeetat gebracht. Da aber der
Curopäer für alle seine Unternehmungen in
Afrika die schwarze Arbeitskraft nicht entbehren
kann, so ist die gesunde Entwicklung der afrika-
nischen Volksstämme höchstes enropäisches Interesse.
Cine Verschiebung der bisherigen Zufallsgrenzen
Afrikas sollte gerade unter dem Gesichtspunkte
vorgenommen werden: „Was sordert Europas
und Afrikas gemeinsames Interesse?“ Diesenigen
Länder sollten bei der Verteilung bevorzugt werden,
die bewiesen haben, daß sie die Menschheit auch
in den Farbigen achteten und die Kraft gefunden
haben, in diesem Geiste zu leiten und zu organi-
sieren. Den dentschen Ansprüchen stehen starke
Widerstände entgegen. Gerade jene Interessenten-
gruppen in England, die am allerleidenschaft-
lichsten den Ausbentestandpunkt vertreten, sind
rastlos an der Arbeit gewesen, um einen Ver-
leumdungsfeldezug gegen uns zu organisieren und
die philanthropische Phrase, hier und da auch
eahrliche philanthropische Gesinnung, in ihren Dienst
zu stellen. Wir hältten, so heißt es, nach unserer
kolonialen Vergangenheit, jedes Recht verwirkt,
die afrikanischen Stämme nach dem Kriege wieder
in unsere Obhut zu nehmen. Pathetisch ruft
Lord Robert Ceeil: „Und wenn wir in irgend-
einem Grade erfolgreich sind, würde ich mit
Schandern den Gedanken fassen, Eingeborene
zurückzuerstatten, die von einer derartigen Regie-
rung befreit worden waren.“ "
Man wundert sich wirklich, woher der englische
Staatssekretär des Answärtigen Amts seine In-
sormationen herbezieht. Ist es immer dasselbe
Greuelbureau, das ihm auch das Märchen
von der deutschen Leichenverwertungsanstalt zur
Verfügung gestellt hat und neuerdings das
Glanzstück von der geplanten Einführung der
Doppelehe in Deutschland! Hat aber Lord Robert
Ceril ohrliche englische Kenner kolonialer Ver-
hältnisse befragt, so sagt er mit Bewußtsein die
Unwahrheit. Es wäre undentsch und pharisäis
wollten wir leugnen, daß auch unsere koloniale
Vergangenheit Flecken aufzuweisen hat. Aber
unser Sündenregister ist bei weitem nicht so
lang und schwarg wie das englische. Es wäre
ein leichtes, bei einem Wettstreit im Aufzählen
von feindlichen Missetaten der Vergangenheit
die Engländer zu schlagen, aber ich lehne
diese historische Greuel-Schnüffelei als einc ober-
flächliche und unsachliche Kampfmethode ab.
Wollen wir auf den Kern des Problems
durchstoßen: Wer hat ein Recht, Kolonial=
politik zu treiben? daun müssen wir die
Frage aufwersen: Wie dachten und handelten
Haupt und Glieder der Kolonialverwaltungen vor
dem Kriege? Darauf ist zu antworten:
Alle Kolonial-Sachverständigen wissen, daß
der Grundsatz, den ich vor Jahren im Reichstag