Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIII. Jahrgang, 1917. (28)

G 325 20 
etwas umwandeln, ich möchte sagen: Die Ein- 
geborenen haben ein Selbstzweckrecht, sie haben 
den Anspruch, von den höher entwickelten Rassen 
jederzeit zugleich als Zweck und nicht bloß als 
Mittel betrachtet zu werden. Zu dieser 
Kantischen Forderung muß sich henute jede 
Macht bekennen, die Kolonialpolitik treiben will. 
MWir müssen es, einmal, nun, sagen wir 
es ohne Schen, weil es ein Postulat unserer 
Weltanschanung ist, weil unser politisches 
Gewissen es fordert; sodann aber müssen wir es 
im wohlverstandenen nationalen Interesse. Hier 
werden wir, wie die Kolonialverwaltungen aller 
Länder, nach dem Kriege einen harten Kampf 
mit jenem kurzsichtigen Egoismus zu bestehen 
haben, der in England heute schon jeine Ansprüche 
anmeldet. Wir, damit meine ich nns und die 
sämtlichen europäisschen Staaten, wir werden 
kaum einen Uberschuß an unternehmungslustigen 
jüngeren Leuten haben, um Afrika zu besiedeln, 
ganz abgesehen von der noch ungeklärten Frage, 
wie weit Afrika für die mittelländische Rasse be- 
siedlungssähig ist. Das erschöpfte Europa wird 
aber einen gewaltigen Ounger nach den Produk- 
ten der Tropen haben. Diese Notlage wird für 
gewisse Interessentengruppen eine große Ver- 
suchung sein, ohne Rücksicht auf da: Gedeihen 
und die Wohlfahrt der afrikanischen Stämme, 
ohne Schonung des afrikanischen Bodens und 
seiner reichen Bestände, Raubbau zu treiben. 
Eine gewissenlose Ausbentepolitik könnte sich zwei 
Opfer suchen: einmal die natürlichen Schätze des 
Landes, sodann aber seine Menschenkraft. Die 
zweite Form des Raubbaues, die mit der ersten 
auf das innigste zusammenhänugt, ist die gefähr- 
lichere: Afrika ist in weiten Strichen dünn be- 
völkert. Stammeskämpfse, Hungersnöte, Seuchen 
haben die Völkerschaften periodisch dezimiert, oft 
bis an den Aussterbeetat gebracht. Da aber der 
Curopäer für alle seine Unternehmungen in 
Afrika die schwarze Arbeitskraft nicht entbehren 
kann, so ist die gesunde Entwicklung der afrika- 
nischen Volksstämme höchstes enropäisches Interesse. 
Cine Verschiebung der bisherigen Zufallsgrenzen 
Afrikas sollte gerade unter dem Gesichtspunkte 
vorgenommen werden: „Was sordert Europas 
und Afrikas gemeinsames Interesse?“ Diesenigen 
Länder sollten bei der Verteilung bevorzugt werden, 
  
die bewiesen haben, daß sie die Menschheit auch 
in den Farbigen achteten und die Kraft gefunden 
haben, in diesem Geiste zu leiten und zu organi- 
sieren. Den dentschen Ansprüchen stehen starke 
Widerstände entgegen. Gerade jene Interessenten- 
gruppen in England, die am allerleidenschaft- 
lichsten den Ausbentestandpunkt vertreten, sind 
rastlos an der Arbeit gewesen, um einen Ver- 
leumdungsfeldezug gegen uns zu organisieren und 
die philanthropische Phrase, hier und da auch 
eahrliche philanthropische Gesinnung, in ihren Dienst 
zu stellen. Wir hältten, so heißt es, nach unserer 
kolonialen Vergangenheit, jedes Recht verwirkt, 
die afrikanischen Stämme nach dem Kriege wieder 
in unsere Obhut zu nehmen. Pathetisch ruft 
Lord Robert Ceeil: „Und wenn wir in irgend- 
einem Grade erfolgreich sind, würde ich mit 
Schandern den Gedanken fassen, Eingeborene 
zurückzuerstatten, die von einer derartigen Regie- 
rung befreit worden waren.“ " 
Man wundert sich wirklich, woher der englische 
Staatssekretär des Answärtigen Amts seine In- 
sormationen herbezieht. Ist es immer dasselbe 
Greuelbureau, das ihm auch das Märchen 
von der deutschen Leichenverwertungsanstalt zur 
Verfügung gestellt hat und neuerdings das 
Glanzstück von der geplanten Einführung der 
Doppelehe in Deutschland! Hat aber Lord Robert 
Ceril ohrliche englische Kenner kolonialer Ver- 
hältnisse befragt, so sagt er mit Bewußtsein die 
Unwahrheit. Es wäre undentsch und pharisäis 
wollten wir leugnen, daß auch unsere koloniale 
Vergangenheit Flecken aufzuweisen hat. Aber 
unser Sündenregister ist bei weitem nicht so 
lang und schwarg wie das englische. Es wäre 
ein leichtes, bei einem Wettstreit im Aufzählen 
von feindlichen Missetaten der Vergangenheit 
die Engländer zu schlagen, aber ich lehne 
diese historische Greuel-Schnüffelei als einc ober- 
flächliche und unsachliche Kampfmethode ab. 
Wollen wir auf den Kern des Problems 
durchstoßen: Wer hat ein Recht, Kolonial= 
politik zu treiben? daun müssen wir die 
Frage aufwersen: Wie dachten und handelten 
Haupt und Glieder der Kolonialverwaltungen vor 
dem Kriege? Darauf ist zu antworten: 
Alle Kolonial-Sachverständigen wissen, daß 
der Grundsatz, den ich vor Jahren im Reichstag
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.