Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIX. Jahrgang, 1918. (29)

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Balfour bespricht unser Verhältnis zu jedem 
einzelnen dieser Randstaaten. An erste Stelle 
setzt er die Behauptung, die deutsche Inter- 
vention in Finnland hätte bezweckt, Finnland in 
deutsche Abhängigkeit zu bringen, mit anderen 
Worten, ein deutsches Portugal zu schaffen. 
Welche unerhörte Herabwürdigung des fin- 
nischen Unabhängigkeitskampfes, der seit 
Jahrzehnten alle ehrlichen Freunde kleiner Na- 
tionen begeistert hat! Aber Finnland hat, 
scheint's, alle Sympathien in England verloren, 
seit es sich durch das englische Vorgehen in Nord- 
rußland bedroht fühlt und von der Verbindung 
mit der eisfreien Murmanküste nicht abgeschnitten 
werden will. Über unser Verhältnis zu den 
Ostseeprovinzen, zu Polen und zur AUkraine 
erhebt Herr Balfour die ungeheuerliche Be- 
schuldigung, wir seien mit diesen Ländern ver- 
fahren, sagen wir kurz, wie England mit Griechen- 
land, das heißt, wir hätten sie zum aktiven 
Heeresdienst gegen Deutschlands Feinde gepreßt. 
Kein einziger Soldat ist zum Heeresdienst 
aus diesen Ländern für Deutschlands 
Sache gezwungen worden! 
Weiter, meine Herren, Balfours Anklage gegen 
die deutsch-rumänische Politik: Hier ist England 
in der Rolle des Diebes, der ruft: Haltet den 
Dieb! Aber das Gedächtnis der Welt ist nicht 
ganz so kurz. Wer hat Rumänien von seiner 
gesunden Tradition abgezogen! Glaubt Herr 
Balfour nicht, daß Rumäniens Schicksal besser 
gewesen wäre, wenn seine Regierung an der 
Neutralität treu festgehalten hätte? Im übrigen, 
meine Herren, darf ich daran erinnern, daß die 
rumänische Presse selbst gerade in den letzten 
Tagen gegenüber den Behauptungen Bratianus 
und seiner Genossen betont, daß die Wahlen zu 
dem Parlament, auf dessen Mehrheit die Re- 
gierung sich stützt, ordnungsmäßig und dem Volks- 
empfinden entsprechend stattgefunden haben, ohne 
Einwirkung durch die deutsche Regierung. 
Ich komme nun zu dem, was Balfour über 
die Kolonien sagt und zitiere ihn wörtlich: „Wir 
haben unser Gebiet ausgedehnt, wir haben 
Deutschlands Kolonien genommen, und ich glaube 
nicht, daß jemand, der deutsche koloniale Me- 
thoden wirklich studiert hat, überrascht wird, 
wenn wir sagen, daß die Besserung groß ist". 
Dann fährt er fort: „Soll man Deutschland 
die Kolonien zurückgeben und dadurch Deutschland 
Unterseebootbasen auf allen großen Handelsstraßen 
der Welt, und dadurch den Welthandel zu Deutsch- 
lands Verfügung stellen? Deutsche Herrschaft in 
den Kolonien würde tyrannische Herrschaft über 
die Eingeborenen bedeuten und die Ausstellung 
großer schwarzer Armeen in Zentralafrika“. 
  
Meine Herren! Das heißt mit andern Worten: 
England erobert ein Land, behauptet, es besser 
regieren zu können als sein rechtmäßiger Besitzer, 
und leitet daraus den Anspruch ab, es zu an- 
nektieren. Mit dieser Argumentation könnte man 
eine englische Monroedoktrin für die Welt erklären. 
Ich möchte die folgenden Fragen stellen: 
Weiß der englische Staatssekretär des Aus- 
wärtigen nichts von der Dezimierung der far- 
bigen Bevölkerung in den verschiedenen Kolonien 
Afrikas durch das Vorgehen der Entente, nichts 
von den im Unterhaus zugegebenen Zwangs- 
aushebungen in Britisch-Ostafrika, nichts von den 
riesigen Arbeiter= und Soldatenheeren aus eng- 
lischen und französischen Kolonien? Hat er sich 
bei seinen Kollegen vom englischen Kolonialamt 
erkundigt, was es bedentet, mit Eingeborenen 
gegen Eingeborene Krieg zu führen? Hat er 
eine Ahnung von dem unermeßlichen Scha- 
den für die koloniale Sendung aller 
Kulturvölker, der daraus entstehen muß, daß 
man Schwarze im Kampf gegen Weiße ver- 
wendet und nach Europa bringt? 
Zweifelt Herr Balfour ernstlich daran, daß 
das Schicksal ganz Afrikas besser gewesen wärc, 
wenn England die Kongo-Akte nicht mißachtet 
hätte? Hat er vergessen, daß Deutschland die 
einzige kriegführende Macht ist, die die 
Abschaffung des Militarismus in Afrika 
ausdrücklich unter ihre Kriegsziele auf- 
genommen hat? 
Ist Herr Balfour heute bereit, das gleiche 
für England zu versprechen und mit französischen 
Methoden und Churchillschen Plänen endgültig 
zu brechen? 
Meine Herren! Ich erwarte keine Antwort 
auf diese Fragen. Die Balfoursche Rede sollte 
nicht der staatsmännischen Aufklärung dienen. 
Die Khaki-Wahlen werfen ihren Schatten 
voraus! Die kurze Geschichte unserer Kolonien 
zeigt, daß wir weder in Afrika noch in der Süd- 
see aggressive Politik treiben wollten und ge- 
trieben haben. Wir erstreben keine Vorherr- 
schaft und kein Ubergewicht, wir wollen einen 
Ausgleich unter den Kolonialstaaten. Wir wün- 
schen eine Regelung der kolonialen Fragen nach 
dem Grundsatz, daß kolonialer Besitz den wirt- 
schaftlichen Kräften der europäischen Nationen 
entsprechen soll und ihrer in der Geschichte be- 
wiesenen Würdigkeit, die ihnen anvertranten far- 
bigen Bölker zu beschützen. Die wirtschaftliche 
Tüchtigkeit allein ist kein genügender Rechtstitel. 
Kolonisieren heißt Missionieren. Diejenigen 
Staaten, die nach diesem Grundsatz vor dem 
Kriege zu handeln bestrebt waren, die die Mensch- 
heit auch in den Farbigen achteten, diese Na- 
tionen haben das moralische Recht erworben,
	        
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