350 Achter Abschnitt: Das Gerichtswesen. $ 38
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dasselbe alle Rechte und Pflichten richterlicher Beamten‘ zuschreibt !).
Dagegen ist der Staatsdienst der Handelsrichter kein berufsmässiger; sie
führen das Amt als Ehrenamt d.h. unentgeltlich. Es finden daher auch die
Regeln über Beförderung, Versetzung, Pensionierung, sowie das Verbot des
Gewerbebetriebs auf sie keine Anwendung. Die Befähigung zum Amte
eines Handelsrichters ist an vier Voraussetzungen geknüpft, Reichsangehö-
rigkeit, Vollendung des 30. Lebensjahres, Wohnsitz in dem Bezirke der Kam-
mer für Handelssachen und Kaufmannsqualität (Eintragung in das Handels-
register) ?). Die Ernennung erfolgt auf die Dauer von 3 Jahren, kann aber
nach Ablauf dieser Zeit wiederholt werden.
$ 38. Die Zeugenpflicht. Sie ist begrifflich nicht beschränkt auf die
Verpflichtung, den Gerichten Aussagen zu machen, und noch viel we-
niger objektiv auf Tatsachen, welche in einem Strafprozess oder Zivilprozess
von Erheblichkeit sind; sie kann allen Behörden gegenüber bestehen und
für alle denkbaren staatlichen Zwecke in Anspruch genommen werden; nach
ihrer historischen Ausbildung und praktischen Gestaltung ist sie aber eine
zu Zwecken der Rechtspflege bestehende Last und ihre Geltendmachung eine
Betätigung der Gerichtsbarkeit. Soweit die letztere vom Reich geordnet ist,
erstreckt sich diese Regelung nicht bloss auf den Zeugen be weis, sondern
auch auf dieZeugen pflicht. Es ergibt sich hieraus, dass nur für die zur
ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit gehörenden Angelegenheiten in den
drei Reichsprozessordnungen und ausserdem für einzelne spezielle Fälle in
besonderen Reichsgesetzen die Zeugenpflicht reichsgesetzlich geregelt worden
ist, während in allen übrigen Fällen lediglich die Partikularrechte massge-
bend sind. Auf dem durch die Reichsgesetzgebung geregelten Gebiete sind
folgende Grundsätze anerkannt ?).
1. Berechtigt, die Erfüllung der Zeugenpflicht zu fordern, sind die or-
dentlichen Gerichte in den zu ihrer Zuständigkeit gehörenden Strafsa-
chen, bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Konkursen und Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit *); die Konsulargerichteund Schutz-
gebietsgerichte in demselben Umfange und nach denselben Regeln °);
dieMilitärstrafgerichte in allen zu ihrer Zuständigkeit gehörenden
Sachen ®); die Gewerbegerichteund die Kaufmannsgerichte’);
die Arbeiterversicherungsbehörden?)und das Aufsichts-
1) GerichtsverfGes. $ 116.
2) GerichtsverfGes. $ 113 Abs. 1 in der Fassung des Reichsgesetzes v. 20. März
1905 (RGBil. S. 179).
3) Es ist im folgenden nur von der staatsrechtlichen Ordnung der Zeu-
genpflicht, nicht von der prozessrechtlichen Ordnung des Zeugen be-
weises die Rede.
4) StrafprozO. $ 48 ff.: ZivilprozO. $ 373 ff.; Konkursordn. $ 75; Ges. v. 20. Mai
1508 $ 15. Dagegen haben die Staatsanwaltschaft, die Polizeibehörden, die Schiedsrich-
ter, die Verwaltungsbehörden und Rentenstellen der Invalidenversicherung zwar die
Befugnis, Zeugen uneidlich zu vernehmen, die freiwillig bereit sind, eine Aussage zu
nıiachen, aber keine Befugnis, die Abgabe einer Zeugenaussage zuerzwingen.
5) Konsulargerichtsbarkeitsges. $ 19, 41, 52 fg. Auch die Prisengerichte
Verordn. v. 15. Febr. 1889 (RGBl. S. 5). — 6) Militärstrafgerichtsordnung $ 186.
7) Reichsges. v. 30. Juni 1901 $ 44: RG. v. 6. Juli 1904 $ 16.
S) RVO. $ 1571 ff. Ges. über die Angestelltenvers. $ 243 Tg.