104 8 11. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
lich die Aufstellung der Normen und die Kontrolle ihrer Befolgung.
Im einzelnen ist das Maß der den Einzelstaaten überlassenen Selbst-
verwaltung auf den verschiedenen Gebieten der staatlichen Tätigkeit
höchst mannigfach bestimmt.
Von dieser prinzipiellen Ordnung bestehen aber nach beiden
Seiten hin Abweichungen.
Für einzelne Angelegenheiten hat das Reich den Einzelstaaten die
Befugnisse der Selbstverwaltungskörper nicht zugewiesen, sondern sie
gänzlich außer Funkfion gesetzt und sich seinen eigenen Apparat
zur Ausübung seiner Tätigkeit geschaffen; es gilt dies namentlich von
den auswärtigen Angelegenheiten mit Einschluß des Konsulatwesens
und der Verwaltung der Schutzgebiete, der Marine, der oberen Post-
und Telegraphenverwaltung, eines Teils der Gerichtsbarkeit letzter
Instanz, eines Teils der Finanzverwaltung und einigen anderen An-
gelegenheiten.
Andererseits ist neben den der Gesetzgebung und Aufsicht des
Reichs unterstellten Angelegenheiten noch ein großer Kreis von öffent-
lich rechtlichen Funktionen vorhanden, welche den Einzelstaaten ver-
blieben sind. Es gehört dahin zunächst die Organisation der Einzel-
staaten selbst, die Normierung des Thronfolgerechts, Wahlrechts, der
Beamtenverfassung, der Provinzial-, Kreis- und Gemeindeverfassung,
ferner das Gebiet der direkten Steuern, das Unterrichtswesen u. s. w.
Hinsichtlich dieser Angelegenheiten sind die Einzelstaaten nicht Selbst-
verwaltungskörper des Reiches, sondern ihre Stellung ist eine freiere
und unabhängigere, indem sie weder der Gesetzgebung
noch derOÖberaufsichtdesReiches unterworfen sind.
Freilich können diese Angelegenheiten nicht völlig getrennt und los-
gelöst werden von denjenigen, auf denen das Reich kompetent ist;
die verschiedenen Lebensfunktionen des Staates hängen innerlich so
fest zusammen, durchdringen und bestimmen sich gegenseitig so viel-
fach, sind so ineinander geschlungen und verwickelt, daß es unmög-
lich ist, sie durch einen tiefen Schnitt voneinander zu trennen oder
zwischen ihnen eine Kompetenzgrenze wie eine chinesische Mauer
eigenen, zu ihrer ausschließlichen Disposition stehenden Apparates durchführt, son-
dern sich darauf beschränkt, die Normen für die Ausübung dieser Hoheitsrechte auf-
zustellen und ihre Durchführung zu beaufsichtigen, während die Durchführung selbst
ihr untergeordneten politischen Körpern übertragen oder überlassen ist. Vgl. die
Ausführungen in den beiden ersten Auflagen dieses Werkesund meineAb-
handlung im „Rechtsgeleerd Magazijn“ 1891, S. 147 ff. Ferner Zorn, Staatsr. ],
S. 109 ff.; Hänel, Staatsr. L S.135 ff, O. Mayer, Verwaltungsr. I, S. 127; I,
S. 372fg. und die wertvollen Erörterungen von Rosin in Hirths Annalen 1883,
S. 3805 ff., Jellinek, System S. 290 ff. u. Allg. Staatslehre S. 616 ff. und P. Schoen,
Das Recht der Kommunalverbände in Preußen, 1897, S. 1ff. Eine Uebersicht der
verschiedenen Ansichten geben Gluth, Lehre von der Selbstverwaltung, Wien 1887,
Blodig, Die Selbstverwaltung als Rechtsbegriff, Wien 1894,S.4 ff. Vgl. auch Hat-
schek, Die Selbstverwaltung, Leipzig 1898.