Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 14. Begriff und staatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit. 139 
sowenig kann die Reichsangehörigkeit für denjenigen fortdauern, der 
aufgehört hat, einem deutschen Staate anzugehören,;, man kann nicht 
das Reichsbürgerrecht sich vorbehalten, wenn man die Staatsange- 
hörigkeit aufgibt oder verliert. 
Reichsgesetz vom 1. Juni 1870, 81. Die Bundesan- 
gehörigkeit wird durch die Staatsangehörigkeit in einem Bundes- 
staate erworben und erlischt mit deren Verlust!'). 
2. Die Staatsangehörigkeit kann wechseln, während das Reichs- 
bürgerrecht unverändert bleibt, wenn der einzelne nur nicht aus dem 
Kreise der zum Reiche verbundenen Staaten ausscheidet. Der Wechsel 
der Staatsangehörigkeit innerhalb des Reiches löst das politische Band, 
in welchem sich der einzelne befindet, nicht vollständig und begrün- 
det kein völlig neues; wer in einen anderen deutschen Staat überwan- 
dert, rückt nur an ein anderes Glied derselben festgeschlossenen Kette. 
Eine Veränderung der souveränen Staatsgewalt, welcher er unter- 
worfen ist, vollzieht sich für ihn nicht; nur die mit Autonomie und 
Selbstverwaltung ausgestattete Unterstaatsgewalt wird vertauscht. Dies 
hat zwei sehr bedeutende Rechtsfolgen. 
a) Jeder Angehörige eines deutschen Staates kann in jedem an- 
deren deutschen Staate, in welchem er seine Niederlassung bewirkt, 
die Aufnahme als Staatsbürger verlangen). Kein Staat darf sich gegen 
die Mitglieder der übrigen Staaten abschließen oder ihre Aufnahme an 
lästige Bedingungen, Einzugsgelder, Gebühren u. dgl. knüpfen. Die 
Gemeinsamkeit des Reichsverbandes begründet unter den Angehörigen 
aller einzelnen Staaten die »politische Freizügigkeit«°). Die wichtigsten 
staatlichen Aufgaben werden für das ganze Reich gemeinschaftlich ge- 
löst und deshalb kann derjenige, der dem Ganzen bereits angehört, 
von einem einzelnen Teile nicht als ein Fremder abgestoßen werden ?). 
b) Es kann jemand gleichzeitig mehreren deutschen Staaten ange- 
hören. Da die wesentlichsten politischen Interessen für alle dieselben 
sind, so kann die gleichzeitige Zugehörigkeit zu mehreren deutschen 
Staaten keine erhebliche Kollision der Pflichten der Treue und des 
Gehorsams begründen. Es fallen daher die aus der ethischen Natur 
Vgl. v. Orelli, Staatsrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft S. 70; Burck- 
hardt, Kommentar S. 383 ff. 
1) LandgraffS. 627: „Beide Rechte sind wie ein Recht mit einander ver- 
bunden, sie werden ipso jure gemeinsam erworben und verloren, sie machen zwei 
Teile eines unteilbaren Ganzen aus.“ 
2) Reichsgesetz vom 1. Juni 1870, 8 7. Siehe unten $ 18. 
3) Der Ausdruck rührt her von dem hessischen Bundesbevollmächtigten H o f- 
mann. (Stenogr. Berichte des Reichstages 1870, S. 82.) 
4) Der Rechtsgrund ist nicht mit John in v. Holtzendorffs Handbuch des Deut- 
schen Strafrechts IH, 1, S. 9, Note 7 in dem subjektiven Reichsbürgerrecht des ein- 
zelnen zu sehen, welches für ihn einen wohlerworbenen Rechtsanspruch gegen jeden 
deutschen Einzelstaat auf Verleihung der Staatsangehörigkeit begründe, sondern in 
der Unterordnung aller Einzelstaaten unter das Reich, in ihrer Verbindung zu einem 
Gesamtstaat.
	        
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