Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

140 & 15. Die Pflichten der Reichsangehörigen. 
des Staatsbürgerverhältnisses entnommenen Gründe, welche regelmäßig 
es ausschließen, daß jemand gleichzeitig mehreren Staaten angehört!), 
für die im Deutschen Reich verbundenen Staaten fort. 
Wenn im vorhergehenden die Ausdrücke Reichsbürgerrecht und 
Staatsbürgerrecht für Reichs- und Staatsangehörigkeit, einem her- 
gebrachten Sprachgebrauch gemäß, verwendet worden sind, so möge 
zur Vermeidung von Mißverständnissen hier ausdrücklich hervorge- 
hoben werden, daß damit die Reichs- und Staatsangehörigkeit nicht 
als subjektive Rechte charakterisiert werden sollten. Die Angehörig- 
keit zu einem Staate ist ein Zustand, ein persönlicher status wie Stand, 
Alter, Geschlecht, Zugehörigkeit zu einer Kirchengenossenschaft u. s. w.; 
sie besteht in der Untertanenschaft zu einer bestimmten Staatsgewalt. 
Dieser Zustand begründet aber insofern Pflichten und Rechte, als 
er die Voraussetzung derselben ist, und nurin diesem Sinne ist 
in den folgenden Paragraphen von dem Inhalt der Reichs- und 
Staatsangehörigkeit die Rede?). 
815. Die Pflichten der Reichsangehörigen. 
Die Reichsangehörigen haben gegen das Reich dieselben Pflichten, 
welche in jedem Staate den Staatsangehörigen obliegen, nämlich zum 
verfassungsmäßigen Gehorsam und zur Treue?) Die Selb- 
ständigkeit der Treupflicht gegenüber der Gehorsamspflicht 
zeigt sich besonders deutlich bei denjenigen Deutschen, welche ihren 
Wohnsitz im Auslande haben. Während bei diesen Personen der Ge- 
horsam gegen den Staat ihres Wohnsitzes fast vollständig an die Stelle 
des Gehorsams gegen ihren Heimatstaat tritt, erleidet ihre Treupflicht 
gegen den letzteren keine Veränderung. Es kann daher — namentlich 
im Falle eines Krieges — eine Kollision zwischen der Gehorsamspflicht 
gegen den Staat des Wohnsitzes und der Treupflicht gegen das Deut- 
sche Reich eintreten. Es ergibt sich hieraus, daß die Treupflicht für 
die Staatsangehörigkeit wesentlicher ist als die Gehorsamspflicht; denn 
im Falle einer Kollision wird die Treue dem Heimatstaat, der Gehor- 
sam dem Staat des Wohnsitzes oder Aufenthalts geschuldet. 
1) Vgl. v. Martitz in Hirths Annalen 1875, S. 805. FalckeS. Big. 
2) Vgl. Seydel, Bayerisches Staatsrecht I, S. 299 ff.; Stoerk 8 114. — Auch 
der Bundesrat erklärte zu Art. 4, Nr. 1 der Reichsverfassung (Protokolle 1870, 
8 24), „das Wort Staatsbürgerrecht umfaßt auch die in der Staatsangehörigkeit (Indi- 
genat) enthaltenen Rechte und Pflichten“. Vgl. auch Hänel, Staatsrecht 1, S. 358 fg. 
3) Die Zurückführung der Untertanenpflichten auf die beiden Gesichtspunkte des 
Gehorsams und der Treue hat in der neuesten Literatur fast durchweg Zustimmung 
gefunden (z. B. v. Martitz a.a. O.;v.Bar1l.8.181; Zorn, Schulze, Gareis, 
Vogel, Bayer. Staatsrecht $ 8; Seydel, Bayer. Staatsrecht 1, S. 294 ff.; Gierke, 
Gaupp u.a). Nur G Meyer 8 224, Note 1; Ehrenberg in der Deutschen 
Rundschau Bd. 10, Heft 7, S.51; Bornhak I, S.240 haben sich gegen die Annahme 
einer Treupflicht erklärt. Vgl. auch Stoerk 8 119, Note l.
	        
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