8 15. Die Pflichten der Reichsangehörigen. 143
2. Die Treuverpflichtung.
Dieselbe ist juristisch in ihrer negativen Richtung von
Bedeutung, d. h. sie ist die Rechtspflicht zur Unterlassung von
Handlungen, welche auf die Beschädigung des Staates abzielen.
Der Staat bedroht solche Handlungen zwar auch mit Strafe, wenn
sie von einem Ausländer begangen werden; ja in den schwersten Fäl-
len selbst dann, wenn sie ein Ausländer im Auslande begeht'). Aber
es beruht dies nicht darauf, daß der Ausländer durch seine Handlung
eine Rechtspflicht verletzt, sondern auf dem politischen Interesse des
Staates, sich durch die Strafdrohung gegen feindliche Angriffe zu schüt-
zen, von wem dieselben auch ausgehen.
Der »Verrat« setzt nach dem Sinne des Wortes und dem Rechts-
bewußtsein des Volkes die Verletzung eines Treuverhältnisses, der
Hoch- und Landesverrat den Treubruch des Staatsgenossen gegen den
Staat und das Vaterland voraus?).. In analoger Weise beruht die straf-
rechtliche Aussonderung der Majestätsbeleidigung als eines besonderen
Delikts auf der Verpflichtung des Staatsangehörigen zur Treue und
Pietät gegen den Träger der Staatsgewalt oder den vornehmsten Ver-
treter des Staates®). Hoch- und Landesverrat und Majestätsbeleidigung
enthalten, weil sie zu den Staatsverbrechen gehören, ein subjektives
Moment von staatsrechtlicher Natur, und sowie der Begriff des Bundes-
staates sich von Einfluß zeigt auf die gesetzliche Feststellung ihres
Tatbestandes, so ist auch umgekehrt aus den strafrechtlichen Bestim-
mungen über diese Delikte eine Beleuchtung des Untertanenverhält-
nisses zu gewinnen‘).
Aus dem Begriffe des Bundesstaates folgt, daß die Verpflichtung
zur Treue sowohl gegen den Gliedstaat, dem jemand angehört, als auch
gegen den Gesamtstaat begründet ist; daß demnach feindselige Hand-
lungen sowohl gegen jenen wie gegen diesen durch das subjektive
Moment des Treubruches zum Verrat im eigentlichen Sinne gestempelt
werden. Ebenso ist die Beleidigung des Oberhauptes des Reiches in
1) Reichsstrafgesetzbuch 8 4, Nr. 1.
2) Wenngleich das Strafgesetzbuch Inländer und Ausländer wegen derjenigen
Handlungen, welche den objektiven Tatbestand des Hochverrates und Landesverrates
bilden, zum Teil mit der gleichen Strafe bedroht, und diese Handlungen gemeinsam
mit dem Namen Hochverrat resp. Landesverrat bezeichnet, so bleibt doch in sub-
jektiver Hinsicht immerhin der Unterschied bestehen, daß der Staatsangehörige
die seinem Staate schuldige Treue bricht, der Ausländer nicht. Vgl. Schütze, Lehr-
buch des Deutschen Strafrechts S. 230, Note 5; Schwarze, Kommentar S. 286.
Manche wollen allerdings hiervon ganz absehen, so Berner, Lehrbuch (18. Aufl.)
S. 356; John in Holtzendorffs Handb. IL, 1, S. 15.
3) Schütze S. 225fg., 245, 247.
4) Vgl. Heinze, Staatsrechtl. und strafrechtl. Erörterungen zu dem Entwurf,
son S. 5öfg., 61fg.; Knitschky, Das Verbrechen des Hochverrats, Jena 1874,
. 123 ff.