8 19. Der Verlust der Staatsangehörigkeit. 175
Scheingeschäft geschlossen werde, durch welches jemand sich
den staatsbürgerlichen Pflichten entziehen würde, ohne auf die Vorteile
der Staatsgemeinschaft zu verzichten, so wird die Entlassung unwirk-
sam, wenn der Entlassene nicht binnen 6 Monaten vom Tage der
Aushändigung der Entlassungsurkunde an entweder seinen Wohn-
sitz!) außerhalb des Bundesgebiets verlegt oder die Staatsan-
gehörigkeit in einem anderen Bundesstaate erwirbt (8 18, Abs. 2)?).
Die Entlassung erstreckt sich wie die Verleihung auf die Ehefrau und
die der elterlichen Gewalt des Entlassenen unterworfenen Kinder’),
soweit nicht eine Ausnahme festgesetztist ($ 19).
In betreff der Voraussetzungen der Entlassung wird ähnlich wie
bei der Verleihung unterschieden, ob der Staatsangehörige nur in einen
anderen Bundesstaat verzieht, also die Reichsangehörigkeit beibehält,
oder ob er aus dem Reiche auswandert.
1. Die Entlassung zum Zweck der Uebersiedlung
innerhalb des Bundesgebietes »wird jedem Staatsangehörigen erteilt,
welcher nachweist, daß er in einem anderen Bundesstaate die Staats-
angehörigkeit erworben hat« ($ 15, Abs. 1). Wer also den Staatsange-
hörigkeitsausweis‘) eines anderen Bundesstaates vorleg, muB auf
1) Zur Begründung des Wohnsitzes gehört die Absicht, ständig an einem Orte
zu bleiben. Diese Absicht wird ausgeschlossen, wenn der Aufenthalt an einem Orte
nur zu einem vorübergehenden Zweck (z. B. zum Besuch von Verwandten oder zur
Benützung einer Lehranstalt) genommen wird; dasselbe ist der Fall, wenn der Aufent-
halt an einem Orte genommen wird mit der Absicht, anderswo einen bleibenden
Wohnsitz zu begründen. Vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 22. Mai 1886
beiReger Bd. 7, S. 325.
2) Das Gesetz sagt: „Die Entlassung wird unwirksam, wenn“ Eine Un-
wirksamkeitserklärung der Entlassung ist nicht vorgeschrieben und auch nicht
sachlich erforderlich. Es kann daher auch nicht bezweifelt werden, daß die Entlas-
sung von Anfang an unwirksam gewesen ist, nicht erst es nachträglich wird, und daß
mithin auch für die Zwischenzeit (nicht „in der Zwischenzeit“, wie Cahn S. 129
meine Ansicht mißversteht) die staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt werden müssen.
Vgl. LandgraffS.643; Seydell, S. 284, Note 16; G. Meyer S 77, Note 20;
UrteildesBundesamtes für das Heimatswesen vom 27..Juni 1885 bei
Reger Bd. 6, S. 98. Ein in der Zwischenzeit geborenes Kind erwirbt die Staats-
angehörigkeit des Vaters, resp. der unehel. Mutter. Reger Bd. 8, S. 90 ff. Die
Annahme Böhlau’s a. a. O. S. 35, Note 168, daß während der sechsmonatlichen Frist
pendente conditione resolutiva die Bundesangehörigkeit ohne Staats-
angehörigkeit selbständig fortbesteht, wird durch das Gesetz in kei-
ner Weise gerechtfertigt. Wird die Entlassung unwirksam und der Entlassene will
in einem anderen Bundesstaate die Angehörigkeit erwerben, so finden auf ihn nicht
die Grundsätze von der Naturalisation eines Ausländers, sondern von der Aufnahme
Anwendung. Uebereinkommen sämtlicher Bundesstaaten bei Reger Bd. 16, S. 200
und 308.
3) Die Entlassung erstreckt sich jedoch nicht auf Töchter, die verheiratet sind
oder verheiratet gewesen sind; ferner nicht auf Kinder, die unter der elterlichen Ge-
walt der Mutter stehen, falls die Mutter zu dem Entlassungsantrage der Genehmi-
gung des Beistandes bedarf. Einf.-Ges. zum BGB. Art. 41, Ziff. II.
4) Der Bundesrat hat durch Beschluß vom 3. März 1883 dafür ein Formular fest-
gestellt (Zentralblatt 1883, S. 66).