Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

$ 24. Die staatsrechtliche Natur des Kaisertums. 215 
deutschen Bundesverfassung und den zu ihrer Durchführung erlasse- 
nen Gesetzen das Bundespräsidium betrafen, nunmehr auf den 
esamten Kreis der kaiserlichen Rechte und Pflichten ausgedehnt 
und verallgemeinert worden. 
Aber das ist festzuhalten, daß eine neue staatsrechtliche Institu- 
tion durch die Wiederherstellung der Kaiserwürde nicht geschaffen 
worden ist. Der Begriff des Bundespräsidiums ist durch die Verknü- 
pfung desselben mit dem Kaisertitel nicht verändert worden. Aus den 
geschichtlichen Vorgängen, die zur Wiederaufrichtung des Kaisertitels 
führten, aus den Motiven und Erklärungen, mit denen die Vorlage der 
jetzigen Verfassungsredaktion und deren Beratung begleitet wurde, 
und vor allem aus dem Art. 11 der Reichsverfassung selbst, ergibt 
sich mit unzweifelhafter Gewißheit, daß das Kaisertum ganz und voll- 
kommen identisch ist mit dem Bundespräsidium, und daß es, abge- 
sehen von dem Titel und den demselben entsprechenden Insignien, 
keine Rechte enthält als die Präsidialrechte!.. Dadurch wird keines- 
wegs die große politische Bedeutung des Kaisertitels, namentlich 
für das nationale Empfinden des Volkes, verneint?) 
Die Feststellung der staatsrechtlichen Natur des Kaisertums ist 
nicht ohne Schwierigkeiten, da ein aus Monarchien zusammengesetzter 
Bundesstaat ohne Vorgang in der Geschichte ist. Aus dem Umstande, 
daß der Kaisertitel bisher nur zur Bezeichnung des Monarchenrechts 
verwendet worden ist, können Schlüsse nicht gezogen werden, da der 
Art. 11 der Reichsverfassung ausdrücklich dem Kaiser nicht die Sou- 
veränität des Reiches, sondern das Präsidium des Bundes beilegt. Es 
kann vielmehr dieser Begriff nur aus der Natur des Reiches als eines 
Bundesstaates gefunden werden ?). 
Es ergeben sich sofort zwei Sätze negativen Inhalts. 
1. Der Kaiser ist nicht Monarch des Reiches, d.h. 
Souverän desselben; die Reichsgewalt steht nicht ihm, sondern der 
Gesamtheit der Deutschen Bundesfürsten und freien Städte, also einem 
von ihm begrifflich verschiedenen Subjekt zu®); wo er für das Reich 
Willenserklärungen abgibt oder Handlungen vornimmt, handelt er 
nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Reiches’); wo dem 
Reichstage gegenüber das Subjekt der Reichsgewalt in Betracht kommt, 
also in dem staatsrechtlichen Verhältnis der Organe des Reiches zu 
einander, handelt er im Namen der verbündeten Regierungen °). 
1) Vgl. auch Protokoll des Bundesrats 1870, 8 373: „Durch die Be- 
zeichnungen ‚Kaiser‘ und ‚Reich‘ ist an dem materiellen Inhalt der Bundesverfassung 
ebensowenig wie an den Rechten des Bundesrates und der Einzelstaaten etwas ge- 
ändert worden“. 
2) Vgl. meine Ausführung im Jahrb. des öff. R. I, S. 14 fg. 
3) Eine vorzügliche Analyse der staatsrechtlichen Bedeutung des Kaisertums im 
Organismus des Reichs gibt Anschütza.a. O. S. 545 fg. 
4) Siehe oben 8 10. 5) Reichsverfassung Art. 17. 
6) So z. B. bei Eröffnung und Schließung des Reichstages.
	        
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