Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 27. Wesen des Bundesrates. 235 
sondern nur die Einrichtungen, welche schon vorhanden waren und 
welche gleichsam der natürliche Ausdruck der gegebenen Verhältnisse, 
der Reflex der historisch entstandenen Tatsachen waren, rechtlich zu 
fixieren und näher zu bestimmen!). 
Nach dem Entwurf der Norddeutschen Bundesverfassung sollte 
auf den Gebieten der auswärtigen Angelegenheiten und des Konsulats- 
wesens, der Post und Telegraphie, des Heer- und Marinewesens und 
der Bundesexekution,. Preußen hegemonische Rechte über alle 
Bundesstaaten und das ganze Bundesgebiet ausüben und daneben für 
die übrigen der Bundeskompetenz zugewiesenen Angelegenheiten die 
Bundesversammlung mit den durch die politischen Verände- 
rungen von selbst gegebenen Modifikationen fortbestehen. Die »Be- 
vollmächtigten« der Bundesglieder, der »Präsidialgesandte« und die 
»Präsidialstimme«, die Stimmenverteilung nach Maßgabe des Verhält- 
nisses, welches im Plenum des ehemaligen Bundes bestanden hat, die 
Exterritorialität der Bevollmächtigten, ihre Abstimmung nach Instruk- 
tionen, die Bundesratsausschüsse, die Heimlichkeit der Verhandlungen 
u.s. w. sind aus den Einrichtungen des früheren Deutschen Bundes 
herübergenommen. Der Typus des Staatenbundes, des völker- 
rechtlichen Gesandtenkongresses, ist für den Bundesrat beibehalten 
worden; durch ihn wird das föderalistische Element der Bun- 
desverfassung verwirklicht. Daneben wurde aber der Bund — wie 
oben $ 9 gezeigt worden ist — mit staatlichem Charakter, einer 
eigenen Staatsgewalt, einer selbständigen Gesetzgebungs- und Ver- 
waltungskompetenz, einer völkerrechtlichen Individualität, einer sou- 
veränen Stellung über den Einzelstaaten ausgestattet, und damit 
erlangte der Bundesrat, gleichviel, ob man sich dessen bewußt war 
oder nicht, kraft der in der Natur der Sache selbst liegenden Not- 
wendigkeit die Stellung eines Organes des Bundesstaates, ohne 
daß jedoch die Bestimmungen des Entwurfs über den Bundesrat in 
dem definitiven Verfassungstext abgeändert wurden). 
Dies ist nicht nur für die politische Würdigung, sondern in höherem 
Grade noch für die Erkenntnis des juristischen Wesens des Bundesrates 
von Bedeutung. Der Bundesrat vereinigt in sich zwei Eigenschaften, 
er hat eine Doppelnatur; die eine entspricht seiner historischen 
Abkunft vom alten Bundestage; die andere entspringt aus der Natur 
und den Bedürfnissen des neu gegründeten Bundesstaates. In dieser 
Doppelnatur liegt die Schwierigkeit für die staatsrechtliche Begriffs- 
bestimmung des Bundesrates, die Unmöglichkeit, ihn mit den herkömm- 
lichen Institutionen zu identifizieren. Diese Doppelnatur entspricht 
aber vollkommen dem Grundbau des Deutschen Reiches; sie korre- 
1) Auch für die Neugestaltung des Zollvereins im Jahre 1867 ergab sich dieselbe 
Organisation von selbst. 
2) Vgl. Hänel, Studien II, S. 11fg.; Mejer, Einleitung 8 71; Kliemke 
S. 24 fg.
	        
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