Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

.8 28. Die Staatenrechte im Bundesrate. 241 
Bundesrates wirklichen Anteil zu nehmen. Eine Beantwortung dieser 
Frage ist nur möglich, wenn man zwei rechtliche Beziehungen, die 
hier zugleich in Betracht kommen können, scharf auseinanderhält, 
nämlich die Beziehung der Regierung eines Einzelstaates zu die- 
sem Einzelstaate selbst und die Beziehung des Einzelstaates zum 
Reich. 
In der ersten Richtung ist nicht zu bezweifeln, daß zu den Pflich- 
ten der Regierung auch die Wahrnehmung der Rechte des Staates im 
Bundesrat gehört. Ein Minister, der es unterlassen würde, einen Be- 
vollmächtigten im Bundesrat zu ernennen oder denselben mit Instruk- 
tionen zu versehen, würde die ihm obliegende Sorgfalt in der Füh- 
rung der Regierungsgeschäfte verletzen; er würde bei fortgesetzter 
Nichtausübung seines Rechts die Interessen seines Staates tief schädi- 
gen und ihn seines berechtigten Einflusses auf die Reichsangelegen- 
heiten berauben. Er würde wegen eines solchen Verhaltens inner- 
halb des Einzelstaates, dessen Regierung er führt, nach Maßgabe des 
Staatsrechts desselben verantwortlich gemacht, also nach Umständen 
auch durch Anklage verfolgt werden können. Es entspricht also dem 
Recht der Regierung, die Mitgliedschaftsrechte des Staates im Bun- 
desrate auszuüben, in Ansehung des berechtigten Staates die Pflicht, 
die Mitgliedschaftsrechte im Interesse des Staates auszuüben, weil diese 
Ausübung ein Teil der Regierungstätigkeit und der dabei zu beobach- 
tenden Sorgfalt ist. 
In dem Verhältnis zwischen Reich und Einzelstaat beantwortet 
sich die Frage dagegen in entgegengesetzter Richtung. Zwar ist vom 
politischen Gesichtspunkt aus gewiß nicht zu verkennen, daß jeder 
deutsche Staat die Pflicht hat, die Interessen des Reiches zu fördern 
und dies durch Anteilnahme an den Beratungen und Beschlüssen des 
Bundesrates zu betätigen. Das eigene politische Interesse des Einzel- 
staates wird auch dahin drängen, daß dieses Gebot der Staatsklugheit 
von seiner Regierung nicht verletzt wird. Aber eine rechtliche 
Pflicht des Einzelstaates dem Reiche gegenüber, für eine Vertretung 
und Stimmabgabe im Bundesrate Sorge zu tragen, besteht nicht. Es 
verhält sich hier ganz ebenso wie mit den Reichstagsmiitgliedern, 
welche zwar ein Recht, und gewiß auch eine politische, ethische Pflicht 
haben, an den Arbeiten und Beschlüssen des Reichstages teilzunehmen, 
aber keine Rechtspflicht dieses Inhalts. Ein Staat, der sich vom Bun- 
desrat, oder ein Reichstagsabgeordneter, der sich vom Reichstag fern 
hält, verübt kein juristisches Unrecht. Es beruht dies bei beiden auf 
demselben Grunde. Der einzelne Staat ist ebensowenig wie der ein- 
zelne Abgeordnete ein Organ des Reiches, übt keine Lebens- und 
Willensfunktionen des Reiches aus; und mit diesem Mangel eines 
Rechts, für das Reich zu handeln, entfällt auch die Pflicht, es zu tun. 
Nur der Bundesrat als Ganzes wie der Reichstag als Ganzes sind Or- 
gane des Reiches und deshalb staatsrechtlich verbunden, die ihnen
	        
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